Baltasar Senner 03 - Busspredigt
dem Display erschien die Aufforderung, eine Nummer einzugeben.
»Endstation«, sagte er.
Diese Zugangstechnik mit exotischen Namen wie PIN, TAN oder Super-TAN war schlimmer als die sieben biblischen Plagen, fand Baltasar, ständig musste man Ziffern und Kennwörter auswendig lernen und auf Befehl in irgendwelche Felder eintippen, nur um ins Internet zu gelangen, Geld abheben zu dürfen oder sich als Berechtigter auszuweisen. Eine Art modernes Memoryspiel. Bald würde man seine Kaffeemaschine nur noch mit einem Code in Betrieb setzen dürfen oder musste drei verschiedene PINs aufsagen, bevor es einem erlaubt war, morgens aufzustehen.
»Ich könnte versuchen, das Handy zu knacken«, sagte Philipp. »Das wäre nicht besonders schwer. Ist ein älteres Modell.«
»Das überlassen wir der Kripo. Sollen die sich damit vergnügen. Trotzdem ungewöhnlich, dass Anton zwei Mobiltelefone benutzt hat.«
»Ich sag dir was: In diesem Haus ist einiges mehr als ungewöhnlich.«
7
I n der Tageszeitung standen nur Belanglosigkeiten – Baumaßnahmen in Passau, der Fußballverein hatte wieder verloren, eine neue Wunderkur, die angeblich fünf Kilo Gewichtsverlust in zwei Wochen brachte.
Wolfram Dix legte das Blatt beiseite und nahm noch einen Schluck Kaffee. Neben ihm lag ein Stück Apfelkuchen auf einem Pappteller. Er hatte nicht widerstehen können und sich in der Kantine ein zweites Frühstück gegönnt. Dafür würde er aufs Mittagessen verzichten, obwohl es Schweinsbraten mit Semmelknödel gab, die Leibspeise vieler Bewohner des Bayerwaldes. Schon wenn er daran dachte, wässerte es ihm den Mund. Vielleicht doch eine kleine Portion, ein Seniorenteller, der Magen musste was zum Arbeiten haben, sonst schlug es aufs Gemüt – das war immer wieder in der Zeitung zu lesen. Oder er verzichtete aufs Abendessen und trank dazu ausnahmsweise Mineralwasser statt Bier. Das würde seine Gattin beeindrucken.
Das Problem mit dem Kuchen war, dass ihm seine Frau ausdrücklich verboten hatte, Süßes zu naschen. Vorausgegangen war eine längere Diskussion – er wollte es nicht Streit nennen –, die damit endete, dass seine Liebste ihn nötigte, auf die Waage zu steigen. Selbst der Hinweis auf seine schmerzenden Knie hatte sie davon nicht abbringen können, und zu allem Überdruss ließ sie ein triumphierendes »Wusst ich’s doch!« vernehmen. Wie demütigend die Situation gewesen war!
Doch seine Frau war jetzt nicht bei ihm im Büro, er war ein erwachsener Mann, ein Kriminalhauptkommissar mit viel Lebenserfahrung, er konnte selbst entscheiden, was ihm guttat, oder etwa nicht? Der Apfelkuchen duftete verlockend.
Er tupfte einige Krümel auf, das war wohl nicht verboten, schob sie auf die Zunge, kostete. Frisch und saftig. Selbst wenn er den Kuchen nicht aß, ein Eckchen schadete nicht. Er knipste die Spitze ab und schob sie in den Mund. Einwandfrei.
Vor ihm türmten sich Umlaufmappen. Er schlug die oberste auf: Tatortbeschreibung, Foto und erste Befragungsprotokolle der Kollegen aus Straubing. Trockene Büroarbeit. Er nahm einen weiteren Schluck Kaffee. Wenn man’s genau betrachtete, war ein Apfelkuchen nichts Süßes, im Gegenteil, Äpfel als solche waren sauer und enthielten mehr Vitamine als Kalorien, eigentlich eine gesunde Zwischenmahlzeit. Er biss ein Stück ab.
Oliver Mirwald kam herein, wie immer ohne anzuklopfen, sein Assistent, die korrekte Bezeichnung sollte Kollege sein. Aber dieser Kollege war jung und musste noch viel lernen, gerade als Zugereister, der mit den Sitten und Gepflogenheiten des Bayerischen Waldes nicht vertraut war, deshalb war es nur vernünftig, wenn der Mann sich bei ihm etwas abschaute.
»Der Bericht des Arztes ist da, vom Fall Anton Graf.«
Mirwald setzte sich.
»Wo?«
Geschickt zog sein Assistent einen Hefter aus dem Aktenberg.
»Da.«
»Hier?« Dix konnte sich nicht überwinden, das Zeug jetzt zu lesen. »Wollen Sie etwas von dem Apfelkuchen? Ich würde Ihnen etwas abgeben.« Er wertete es im Stillen als Gottesurteil, ob der junge Kollege zugriff oder nicht. Das würde ihm die Entscheidung abnehmen.
»Danke, bis mittags gibt’s für mich nix mehr, mir reicht der Naturjogurt vom Frühstück.«
»Sie sind eh schon so dünn.« Er erwartete, dass Mirwald das Kompliment zurückgab, aber es folgte keine Reaktion. Dix nahm einen weiteren Bissen. Den Rest würde er aufheben, dann hatte er morgen auch noch was davon. »Und wie ist das Opfer gestorben?«
»Der Doktor schreibt …« Mirwald
Weitere Kostenlose Bücher