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Baltasar Senner 03 - Busspredigt

Baltasar Senner 03 - Busspredigt

Titel: Baltasar Senner 03 - Busspredigt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Schreiner
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Er hütete sich aber, das auszusprechen. »Darf ich?«
    Ohne die Antwort abzuwarten, holte er sein Taschentuch heraus, zog Victoria zu sich heran und tupfte ihr einige Flecken von der Schläfe. Seine Fingerkuppen berührten ihr Gesicht. Die Haut fühlte sich weich und geschmeidig an. Er fuhr mit dem Stoff über die Wange, nahm die Farbe auf, arbeitete sich weiter vor zur Nase, zu den Mundwinkeln. Er wagte es kaum, auch nur sanften Druck auszuüben aus Angst, diese Balance von Weichheit und Spannung zu zerbrechen. Der Augenblick war perfekt, als hätte der Allmächtige auf die Pausetaste seiner Fernbedienung gedrückt. Das war der Beweis, dass es einen Gott gab, der einem solche Momente im Leben schenkte. Baltasar wünschte, er könnte diesen Augenblick in einer besonderen Kammer seines Inneren aufbewahren, um ihn immer wieder hervorzuholen.
    Victoria stand völlig unbeweglich, sie hatte die Augen geschlossen. Er fuhr über ihre Lider. Er spürte ihren Atem, duftig und süß. Er hielt die Luft an. Die Zeit im Raum schien losgelöst von seinen Gesten. Bewegte er sich überhaupt? Es waren nur Sekunden vergangen, ihm kam es wie eine Ewigkeit vor.
    Sie standen einander ganz still gegenüber, Victoria und er. Die einzige Verbindung zwischen ihnen waren seine Fingerspitzen.
    Dann öffnete sie die Augen, und ihr Blick traf ihn, ein Blick, den er bisher noch nie bei ihr gesehen hatte. Ein seltsamer Zustand erfasste seinen Körper, ein Zittern, er konnte nichts dagegen tun. Victoria.
    Er ließ seinen Arm sinken, und das Taschentuch fiel ihm aus der Hand. Ohne einen Ton zu sagen, drehte er sich um und ging.
    *
    Baltasar suchte nach der Adresse. Er war nach wie vor fest entschlossen, mit diesem Jonas Lippert zu sprechen. Es war – zugegebenermaßen – auch ein willkommener Vorwand, um sich abzulenken und nicht weiter über Victoria Stowasser nachdenken zu müssen.
    Philipp hatte ihm die Anschrift des Siebzehnjährigen gegeben, laut Straßenkarte musste die Wohnadresse am Rande von Rabenstein sein, einem Ortsteil von Zwiesel, früher eine Glasmachersiedlung, die Ende der Siebzigerjahre ihre Selbstständigkeit verlor und eingemeindet wurde.
    Er parkte das Auto vor einem zweistöckigen Wohngebäude, das aussah wie ein umgebauter Bauernhof, eines dieser Sacherl, in denen die Bauern ihren Lebensabend verbrachten, nachdem sie das Erbe weitergegeben hatten. Die Fläche vor dem Haus war mit Kies aufgeschüttet, ein Holzschuppen lehnte windschief daneben. Schaufeln und eine Harke steckten in einem Sandhaufen, Pflastersteine stapelten sich an der Wand.
    Auf dem Briefkasten klebte Lipperts Name. Baltasar suchte nach der Klingel, fand aber nur einen Türklopfer und betätigte ihn. Eine alte Frau mit Kleid, Schürze und Kopftuch öffnete und nuschelte etwas, was er als »Ja?« deutete. Sie behielt die Klinke in der Hand, bereit, die Tür jederzeit wieder zuzuschlagen.
    »Guten Tag. Senner mein Name. Ich möchte Jonas besuchen.«
    »Hat er wieder was ausgefressen.« Es war mehr eine Feststellung als eine Frage.
    »Ich würde einfach gerne mit ihm sprechen.«
    Die Antwort war ein Grummeln, das Baltasar mit »hinten rum« übersetzte.
    »Hinten rum?«, fragte er sicherheitshalber nach.
    »Der Bub wohnt im Keller, Eingang da rum.« Sie machte eine Bewegung, die andeuten sollte, dass er auf die andere Seite des Hauses gehen musste. »Wenn Sie den Bub sehen, richten Sie ihm aus, er soll seine Arbeit hier fertigmachen.« Sie zeigte auf den Sandhaufen. »Das Pflaster sollte eigentlich schon vor drei Wochen fertig sein. Saustall, das alles.«
    Baltasar bedankte sich und umrundete das Gebäude. Im Hinterhof war ein Gemüsebeet angelegt geworden, die rückseitige Fassade war teilweise abgebröckelt und gab den Blick auf die Ziegelsteine frei. Eine Holztreppe führte außen hinunter zum Kellereingang.
    Das war Jonas Lipperts Behausung?
    Die Kellertür war nicht verschlossen.
    »Herr Lippert?«
    Baltasar brauchte einen Moment, bis er sich an das Halbdunkel gewöhnt hatte. Die einzigen Lichtquellen waren zwei Kellerschächte.
    Plötzlich spürte er einen Arm um seinen Hals. Jemand hatte ihm aufgelauert und ihn von hinten an der Gurgel gepackt. Der Griff schnürte Baltasar die Luft ab.
    »Was wollen Sie hier?«, zischte eine Stimme an seinem Ohr, die unverkennbar zu Jonas Lippert gehörte.
    »Ich … bin … Pfarrer Senner …«
    Er hatte Mühe, die Worte hervorzupressen.
    »Ich … will … mit Ihnen … reden.«
    Der Griff lockerte sich.
    »Das ist

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