Balthazar: Roman (German Edition)
richtig an. Ihre langen Haare, die tiefbraun waren, wenn seine Erinnerung stimmte, wirkten nun in der hereinbrechenden Nacht beinahe schwarz. Ihr Atem ging noch immer schnell, aber ansonsten war sie erstaunlich gefasst angesichts dessen, was ihr gerade widerfahren war – und in Anbetracht der Tatsache, wie viel schlimmer alles hätte enden können. Ihre Wangen waren von der Anstrengung der Verfolgungsjagd noch gerötet.
»Wir müssen von hier verschwinden«, sagte sie. »Kannst du reiten?«
»Bevor das Auto erfunden wurde, war das eine sehr praktische Fähigkeit.«
»Oh. Ach richtig.« Das brachte sie nur ganz kurz aus der Fassung. »Bis zum Stall kann Eb uns beide tragen. Los, komm.« Skye sah in den dunkler werdenden Himmel hinauf, als hätte sie Angst, dass sich jede Sekunde der nächste Vampir auf sie stürzen könnte. Balthazar spürte zwar keine weiteren Vampire in der Nähe, aber er hielt es ebenfalls für eine gute Idee, diesen Ort so schnell wie möglich zu verlassen.
Als Skye sich in den Sattel schwang, zögerte Balthazar nicht. Kaum, dass sie sich richtig hingesetzt hatte und Eb wieder ruhig dastand, bot Skye Balthazar den linken Arm an. Die Zügel hielt sie in der rechten Hand. Nur mithilfe dieser merkwürdigen Verständigung zwischen Mensch und Tier hatte sie das Pferd so gut unter ihrer Kontrolle, dass sie mit den Füßen aus den Steigbügeln schlüpfen und Eb trotzdem ruhig an Ort und Stelle halten konnte. Balthazar schob seinen Fuß in einen der Steigbügel und saß mühelos auf. Das hatte er schon lange nicht mehr getan, aber seine Muskeln erinnerten sich noch an das letzte Mal, und schon befand er sich hinter Skye. Sie saßen so eng beisammen, dass sie einander berührten, Oberschenkel an Oberschenkel und Schulter an Schulter, und einen Moment lang konnte er an nichts anderes denken als daran, wie warm sie war und wie rasch ihr Herz noch immer pochte.
»Warte«, sagte sie und angelte mit den Füßen nach den Steigbügeln, sodass sie wieder die Kontrolle über alles hatte.
»Ich bin so weit.«
Mit diesen Worten trieb sie Eb an, und das Pferd setzte sich in Bewegung und brachte sie zurück in die Zivilisation. Zurück in die Sicherheit, hätte Balthazar gerne gesagt, aber im Augenblick war er nicht ganz überzeugt davon, dass das so stimmte.
Skyes Atem hinterließ in der bitterkalten Luft weiße Nebelwolken. Vor Balthazars Mund war dagegen nichts zu sehen.
Es stellte sich heraus, dass es sich bei den Ställen nicht um eine der üblichen Einrichtungen handelte, die im Amerika des einundzwanzigsten Jahrhunderts gang und gäbe waren. Stattdessen entdeckte Balthazar ein kleines Gebäude aus breiten Holzplanken, nicht weit hinter Skyes Zuhause. Auch wenn es elektrisch und nicht durch Kerzen beleuchtet wurde, weckten die schweren, schwarzen Laternen alte, angenehme Erinnerungen. Hinzu kam noch der Duft von frischem Heu.
Als sie näher kamen, fragte er: »Werden deine Eltern herauskommen? Müssen wir vor ihnen verheimlichen, wer ich bin und was ich hier will, oder irgendetwas in der Art?«
»Die beiden sind in Albany. Sie sind Lobbyisten, und einer ihrer Gesetzesvorschläge wird gerade diskutiert. Seit Weihnachten habe ich sie kaum mehr als zehn Minuten am Tag zu Gesicht bekommen.«
»Das ist ja nicht gerade viel.«
»Sie haben ihre Gründe.« In Skyes Blick blitzte Belustigung auf, als sie Balthazar einen Blick zuwarf. »Und warum sollten wir ihnen nicht die Wahrheit sagen? Du bist ein alter Schulfreund, der gekommen ist, um Hallo zu sagen.«
»Wissen sie über Evernight Bescheid? Ich meine: Wissen sie, was Evernight in Wahrheit war?«
»Nein. Ich habe behauptet, ich würde mein Abschlussjahr lieber an der Schule in meiner Heimatstadt beenden als in einem Irrenhaus. Auch wenn ich mir nicht sicher bin, dass es da einen Unterschied gibt.« Sie seufzte, während sie abstieg.
»Ist denn sonst jemand zu Hause? Hast du noch Geschwister?«
Bei dieser Frage erstarrte Skye, und Balthazar zögerte, unsicher darüber, ob er vielleicht einen wunden Punkt bei ihr berührt hatte. Skye antwortete kurz angebunden: »Mein Bruder ist letztes Jahr gestorben. Jetzt gibt es nur noch mich.«
»Das tut mir leid, davon wusste ich nichts.«
»Ist schon in Ordnung. Ich bin jetzt zwar allein, aber ich kann selbst für mich sorgen.«
Ganz offensichtlich wollte sie dieses Thema nicht weiter ausführen. Also stieg Balthazar schweigend von Eb ab. Er führte ihn in den warmen Stall und begann damit, ihm den Sattel
Weitere Kostenlose Bücher