Balthazar: Roman (German Edition)
abzunehmen. Noch ein weiteres Pferd, eine Stute mit rötlichem Fell, stand in einer der Boxen und wieherte, wie um sie willkommen zu heißen. Skye ließ Balthazar gewähren und sah ihm dabei zu, wie er das Zaumzeug abnahm und Eb striegelte. Erst als sie sich davon überzeugt hatte, dass Balthazar wirklich wusste, wie man sich um ein Pferd kümmert, begann sie wieder zu reden. »Okay, also wie bist du darauf gekommen, einfach so im Wald aufzutauchen? Rennst du herum und suchst nach Leuten, die in Schwierigkeiten sind, wie … ein Vampir-Batman oder so?«
Er musste lächeln. »Ich wünschte, so wäre es. Nein, Lucas hat mir erzählt, dass du Ärger hast, und er hat mich gebeten, nach dir zu sehen. Allerdings hat er nichts von Vampirüberfällen gesagt.«
»Es gab auch keine. Bis heute, meine ich. Ich habe ihm nur geschrieben, dass …« Offenbar fiel es ihr schwer, darüber zu sprechen. »… ich Visionen habe. Dass ich sehe, wie Leute getötet werden.«
»Dann haben sie also nicht nachgelassen?« Lukas hatte ihm schon berichtet, dass sie anscheinend mit Geistern Probleme hatte. Anstatt jedoch nur ab und an heimgesucht zu werden, musste Skye in grellen Farben jedes Detail von früheren Morden mit ansehen – und zwar immer wieder.
Balthazar war der Meinung, dass sie zuerst versuchen sollten, ein Muster herauszufinden. »Geschieht es jetzt öfter? Passiert es nachts, am Tag, nachdem du etwas getan oder gelassen hast …?«
Skye schüttelte den Kopf. Der Schein der Laterne fiel auf ihr dunkles Haar und brachte die rötliche Spur unter dem Braun zum Vorschein. Bislang hatte Balthazar sich kaum je erlaubt, das zu bemerken, aber sie war ein wirklich wunderschönes Mädchen. »Es hat nichts zu tun mit dem, was ich mache oder nicht mache. Es hängt nur damit zusammen, wo ich mich befinde. Wenn ich an einem Ort bin, an dem jemand gestorben ist, dann sehe ich das. Aber es ist mehr als nur sehen: Ich weiß, wie diejenigen sich gefühlt haben. Das Opfer und der Mörder, wenn es denn ein Mord war.«
»Es waren nicht alles vorsätzliche Tötungen?« Geister entstanden nur durch Morde; wenn Skye auch andere Arten von Todesfällen sah, dann hatten die Geister nichts damit zu tun.
»Manchmal schon. Manchmal tritt der Tod aber auch nur … plötzlich ein. Gewaltsam. Kein einziger von ihnen war friedlich.« Skye verschränkte die Arme vor der Brust, als wolle sie unbewusst einen Schutzschild schaffen. »Der erste Todesfall, den ich gesehen habe, war auf der Heimfahrt von Evernight. Wir standen auf der Autobahn im Stau, und während wir uns irgendwie die Zeit vertrieben, sah ich plötzlich diesen Unfall … die Nachwirkungen davon … diesen zusammengekrümmten Körper … Ich dachte, ich wäre völlig durchgedreht, und dass all diese verrückten Dinge in Evernight mich irgendwie um den Verstand gebracht hätten. Aber als ich den Unfall immer wieder sah, zuschaute, wie dieser Bursche starb, es hörte, es sogar roch , da wusste ich, dass es Wirklichkeit war.« Ein Schauder lief durch ihren Körper. »Wusstest du, dass man im Qualm Blut riechen kann? Das kann man nämlich.«
»Ja, das wusste ich.« Es war wohl besser, nicht weiter nachzufragen, woher er dieses Wissen hatte. »Also hast du diese Visionen, wann immer du in die Nähe eines plötzlichen Todesfalls gerätst?«
»Ja, es ist, als ob die Toten meine Aufmerksamkeit suchen. Als wenn sie mich dazu bringen wollen, das alles mit ihnen zusammen zu durchleiden. Wenn es geschieht, dann muss ich mich zwingen, mich daran zu erinnern, wer ich bin und wo ich mich befinde. Ich will aus den Visionen aufwachen, aber manchmal gelingt mir das nicht. Ist das …? Hat Lukas dich deshalb hierhergeschickt, weil du etwas darüber weißt?«
»Leider nein.« Balthazar striegelte Eb weiter; er hatte ganz vergessen, wie sehr ihm diese einfachen, wiederholten Bewegungen dabei halfen, sich zu konzentrieren. Ein Auto zu waschen machte Spaß, aber es war nicht damit zu vergleichen, ein Pferd zu versorgen. »Lucas und Bianca wären ja selbst gekommen, aber sie haben in letzter Zeit eine Menge Ärger mit dem Schwarzen Kreuz.«
»Dem Schwarzen Kreuz?«
»Oh. Ich hatte ganz vergessen, dass du nichts davon weißt.« Zum ersten Mal erinnerte sich Balthazar wieder daran, dass Skye noch immer eine Außenseiterin in der Welt des Übernatürlichen war. Trotz allem, was sie gesehen und getan hatte, war ihr ein Großteil seiner Welt ein völliges Rätsel. »Vampirjäger. Keine Sorge: Bianca und Lucas geht es
Weitere Kostenlose Bücher