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Bamberger Verrat

Bamberger Verrat

Titel: Bamberger Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Degen
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Wand, der dort eine abgerissene Ecke eines Posters festhielt, auf der eine Hand mit dem Ende einer Gitarre zu sehen war. Sie starrte dieses kleine Stückchen Erinnerung an wie einen Geist, drückte es an die Lippen und sank in die Knie. Sie summte ein paar zerrissene Töne, und dann begann das Schluchzen sie erneut zu schütteln.
    Werner und Claudia Jung überließen sie ihrer Trauer und schlossen leise die Tür.
    Im Auto sagte Claudia Jung: »Arme Frau. Meinen Sie, der Mann schlägt sie? Sie hat so viel Angst in sich.«
    Doch Werner hörte ihr nicht richtig zu.
    Während er den Wagen anließ, überlegte er laut: »Dieser Kostner ist ja vielleicht ein Herzchen. Wir sagen ihm, dass sein Sohn tot ist, und er fängt an, seine Erziehung zu verteidigen! Was könnte das denn bloß gewesen sein, weshalb der Vater den Jungen rausgeworfen hat? Es muss etwas sein, wofür beide Eltern sich schämen, so unterschiedlich sie sind. Ich bin überzeugt, Frau Kostner weiß, worum es sich handelt, sonst hätte sie ihren Sohn nicht so entschuldigen müssen. Sie war ja richtig verlegen. Vielleicht hat er ihnen gesagt, dass er schwul ist?«
    Â»Schwul? Ich weiß nicht … So klang es, finde ich, eher nicht. Aber wer weiß … Jedenfalls müssen wir diese Freunde finden und befragen. Warum haben Sie eigentlich bei der Erwähnung der dicken Frau so beglückt ausgesehen?«
    Â»Beglückt? Hab ich das? Na ja, dieser Hinweis erspart uns aufwendige Suchaktionen. Die dicke Frau ist nämlich eine Figur, aus Bronze. Eine Frau, die auf dem Bauch liegt. Der Bildhauer heißt Botero, Fernando Botero. Drum heißt die hier die ›Bodera‹ oder, weniger freundlich, die ›Blunzn‹, weil sie halt rundherum sehr gut gepolstert ist. Aber das Gute daran ist: Die Figur liegt auf dem Heumarkt, und es gibt dort nur ganz wenige Wohnhäuser, von denen aus man sie sehen kann.«
    Â»Soll ich Frau Wedel anrufen, damit sie die Adresse rausfindet? Dann könnten wir gleich hinfahren.«
    Â»Nein, das muss warten. Machen wir später. Zuerst müssen wir zum ersten Treffen der Sonderkommission.«

6
    Benno hängte missmutig den feuchten Mantel in den Schrank seines Amtszimmers und setzte sich an den wuchtigen Eichenschreibtisch, wo ein Stapel von Akten auf seine Unterschrift wartete. Doch Benno schob den Papierturm achtlos beiseite und starrte grübelnd auf die alten Kastanien vor seinem Fenster.
    Was, verdammt noch eins, machte er nur falsch? Er war doch eigentlich ein netter Kerl; er soff nicht, er rauchte nicht und verspielte sein Geld nicht bei Pferdewetten. Er hatte es nur gern ein bisschen ordentlich. Aber er war doch kein Pedant – selbst jetzt beim Nachdenken verabscheute er dieses Wort, er war doch tolerant und großzügig, meistens jedenfalls.
    Was war falsch an dem Versuch, das Chaos des Alltags durch Strukturen zu bändigen? Was war falsch daran, das Dunkel der Zukunft durch frühzeitige Planungen etwas transparenter zu machen? Aber jetzt hatte er es fertiggebracht, damit schon die zweite Frau in die Flucht zu schlagen. Er kam sich vor wie in einem Heißluftballon, dessen Halteseile unvermutet jemand gekappt hatte, ohne ihm Bescheid zu sagen, mitten im Sturm. Er hatte keine Ahnung, wie er sich verhalten sollte und wohin er trieb.
    Natürlich wusste er, woher sein Hang zu Ordnung und Planung kam. Er war immer noch – und würde es wohl immer bleiben – der große Bruder von drei kleinen Geschwistern, die sich in einem winzigen Regensburger Reihenhaus ein kleines Zimmer mit zwei Stockbetten und zwei Minischreibtischen hatten teilen müssen. Da ihre Eltern tagsüber beide arbeiteten, der Vater als Polizist und die Mutter als Putzfrau, war es seine Aufgabe gewesen, auf die Kleinen aufzupassen und dafür zu sorgen, dass die Benutzung der Schreibtische und die häuslichen Arbeiten gerecht verteilt wurden. Immer war er von allen Erwachsenen dafür gelobt worden, wie gut er das hingekriegt habe. Und seine Geschwister vergötterten ihn auch heute noch, na ja, zumindest ein bisschen. Er war ja kein Tyrann, sondern ein Problemlöser, der von den anderen nur wollte, dass sie sich vernünftig verhielten, so vernünftig wie er. Vernunft, das war doch ein gutes Lebensprinzip! Bisher hatte er auch Frauen für vernunftbegabte Wesen gehalten. Warum kamen sie dann nicht mit ihm zurecht?
    Nun, bei Gerda,

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