Bamberger Verrat
zärtlich sein konnten, Hände, die sie geschlagen hatten.
»N-nein«, sagte sie.
»Sag jetzt nicht Nein«, raunte Paolo. Er drehte mit dem Zeigefinger ihr Gesicht zu sich. »Denk darüber nach noch.« Das Grün seiner Augen vertiefte sich. »Denk darüber nach!«, flüsterte er, drehte sich um und ging weiter.
Hanna folgte ihm benommen. Als sie ihn eingeholt hatte, fragte er in beiläufigem Ton, als hätten sie gerade eine ganz alltägliche Konversation geführt: »Wie geht es eigentlich deinem Vater?«
Hanna schaute ihn ungläubig an. »Meinem Vater?« Sie schüttelte den Kopf und schluckte. »Meinem Vater geht es hoffentlich gut«, sagte sie nach einigen Sekunden. »Ich bin überzeugt, dass er im Himmel ist.«
Paolo blieb abrupt stehen. »Tuo padre è morte?« Er schien erschrocken.
»Ja, er ist vor fünf Jahren gestorben, vor fast sechs Jahren schon.«
»O dio« , murmelte Paolo. »Come �«
»Es war ein Herzinfarkt. Es ging ganz schnell.«
Hanna wunderte sich über Paolos betroffene Reaktion. Er hatte ihren Vater doch nur einmal getroffen, damals, als sie ihn ihren Eltern vorgestellt hatte, bevor sie nach Venedig fuhren. Sicher, die beiden hatten sich recht gut verstanden, hatten den halben Abend über irgendwelche Finanzdinge gefachsimpelt. Aber das war doch schon so lange her.
Aus dem Augenwinkel nahm sie wahr, dass ein Mann zu ihnen herübergrüÃte, bevor er durch das namenlose Gässchen zwischen Oberer und Unterer Brücke davonging. Er kam ihr vage bekannt vor, auch wenn sie im Moment nicht wusste, wo sie ihn einordnen sollte. Paolo ging weiter, als habe er nichts bemerkt. Also hatte der Gruà wohl ihr gegolten.
Paolo sah sie von der Seite an und grinste etwas schief. »Dann bist du jetzt ja eine reiche Erbin?«
»Nein, reich wahrhaftig nicht«, erwiderte sie kläglich.
»Nein?«, fragte er ungläubig.
»Nein. Ich komme gerade so über die Runden. Geerbt hat meine Mutter. Ich bekam damals aber mein Häuschen. Das hatte Papa schon in den siebziger Jahren gekauft, als Klein-Venedig noch keine begehrte Adresse war. Und er wollte immer, dass ich es bekomme.«
»Aha.«
Sie waren in die SandstraÃe eingebogen, wo selbst um diese Jahreszeit Touristengruppen unterwegs waren, die von ihren Führern auf die Brauerei »Schlenkerla« hingewiesen wurden.
»Da gibt es das berühmte Rauchbier. Pflicht für jeden Bamberg-Besucher. Willst du es versuchen? Wir könnten hier essen, was meinst du?«, fragte Hanna.
Paolo nickte. »Na gut, wenn es ist Pflicht.«
Sein Pflichtgefühl schien aber nicht sonderlich ausgeprägt. Nach dem ersten Schluck stellte er das Bierglas mit angewidertem Gesichtsausdruck weg. »Ist ja grauenhafter Geschmack. Wie verbrannt. Que va storta? Haben sie es verdorben?«
»Nein, das gehört so. Das Malz wird über brennenden Buchenscheitern â¦Â«
Paolo runzelte die Stirn. »Ich trinke lieber Wein.«
»Mach das ⦠nicht«, wollte Hanna warnen.
Aber Paolo hatte schon mit herrischer Geste die Kellnerin herbeigewunken.
»Haben Sie Wein?«, fragte er mit jener selbstverständlichen Arroganz, die jahrhundertelanger Züchtung bedarf.
Kellnerinnen waren im »Schlenkerla« traditionell unfreundlich. Doch durch einen beklagenswerten Verfall der Sitten hatten einige von ihnen in den letzten Jahren das Lächeln gelernt. Paolos Anfrage vertrieb diese Schwäche gründlich.
»Hamâmer«, brummte die Bedienung und nickte.
»Bringen Sie mir Weinkarte.«
Hanna glaubte Belustigung in den Augen der Frau aufblitzen zu sehen.
»Hamâmer net«, stellte sie kategorisch fest. »WeiÃn odder rodn?«
Paolo schien ein wenig verwirrt.
Hanna übersetzte: »Es gibt hier keine Weinkarte. Sie fragt dich, ob du WeiÃwein oder Rotwein willst.«
»W⦠WeiÃwein.«
»Dauerd a wengla. Der muss erscht ausm Keller gholt wern.« Die Bedienung schritt zufrieden davon.
»Das hättest du nicht tun sollen, Paolo. Sie wird dich warten lassen.«
Paolo blickte mit jenem Anflug von Degout in den Mundwinkeln, den Hanna von seiner Mutter kannte, hinter der Kellnerin her.
»WeiÃt du, es ist schon fast ein Sakrileg, im âºSchlenkerlaâ¹ Wein zu bestellen. Schlimmer wäre es nur noch, Cola zu wollen. Hier trinkt man einfach die Spezialität des
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