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Bamberger Verrat

Bamberger Verrat

Titel: Bamberger Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Degen
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rumdenken müssen.«
    Sie putzte sich die Nase mit einem völlig zerfledderten, feuchten Taschentuch. Hatte sie geweint?
    Tanja steckte das Fetzchen Papier in ihren Ärmel. »Weißt du, wie ich damals bei Tante Doris gewohnt hab, da war gleich nebenan das Haus von Martys Eltern. So hab ich auch Charly kennengelernt, der war ja mit Marty befreundet, leider; na egal.«
    Sie beugte sich vor, um in den Kinderwagen, der neben dem Sofa stand, zu schauen. Will hatte gerade etwas gemaunzt, schlief aber leise schnaufend weiter. Beruhigt lehnte Tanja sich zurück und stopfte die Decke wieder hinter ihrem Rücken fest.
    Hanna sah die Geste mit leiser Verzweiflung und rieb sich die Augen. »Du wolltest doch was von Wills Vater erzählen.«
    Â»Ja, klar. Also, eines Tages kriegte Marty einen englischen Austauschschüler, damit sein Englisch besser wird. William hieß der. Ich hatte den immer nur so von fern gesehen. Aber irgendwann saß ich mal auf unserm Balkon und heulte, und ich hatte nicht gemerkt, dass William auf dem andern Balkon saß und las. Und dann sagte er: ›Hi, du, ich bin fremd hier, und ich würde lieben, spazieren zu gehen. Kannst du mit mir hinabgehen und ein Wald oder Park zeigen?‹ Er hat mir später erzählt, wie er sich den Satz vorher zurechtgelegt hat. Ich werd ihn mein Leben lang nicht vergessen. ›Ich würde lieben, spazieren zu gehen‹.«
    Â»Und? Bist du mit ihm spazieren gegangen?«
    Â»Hmm. … Na ja, beim Spazierengehen blieb’s nicht.« Sie grinste und spielte mit den Fransen der Decke.
    Â»Und wie ging’s dann weiter?«, fragte Hanna, um Geduld bemüht. Sie hatte ihr Glas schon halb geleert und Mühe, die Augen offen zu halten.
    Tanjas nachdenkliches Grinsen verschwand. »Im August musste William zurück nach Hause. Wir schrieben uns total viele Briefe. Aber dann merkte ich, dass ich schwanger bin. Und William hatte mir gesagt, sein Vater schlägt ihn tot, wenn er ein Kind macht. Sein Vater muss furchtbar streng sein, und William war doch auch erst achtzehn, und er wollte unbedingt studieren, Agrarwissenschaft oder so was. Drum hab ich ihm geschrieben damals …«, Tanja schluckte mehrmals, aber dann lief ihr doch eine Träne die Nase entlang, »ich hab geschrieben, dass ich einen andern Freund hätte und keine Briefe mehr von ihm kriegen wollte. Weil, das hätte ich nicht ausgehalten, ihm Briefe schreiben und nix von unserm Baby erzählen.«
    Hanna langte über die Sofalehne hinweg nach Tanjas Hand und streichelte sie. Tanja lächelte traurig und zupfte an ihrem Nasenring. »Ich … ich muss dauernd an ihn denken, in der letzten Zeit immer mehr, obwohl das Ganze jetzt doch schon fast zwei Jahre her ist. Und ich hab keine Ahnung, was ich machen soll.«
    Â»Warum schreibst du ihm denn nicht einfach?«
    Â»Ich weiß ja gar nicht, wo er ist; vielleicht ist er ja noch auf der Landwirtschaftsschule oder was … Bei Facebook hab ich ihn jedenfalls nicht gefunden. Ich hab nur die Adresse von dem Hof von seinen Eltern, und wenn ich ihm dorthin schreib, und sein Vater macht den Brief auf und … Und vielleicht … vielleicht ist er inzwischen ja verheiratet oder so.« Sie klang sehr verzagt.
    Hanna stand auf. »Weißt du was, morgen … nein, am Samstag setzen wir uns zusammen hin und überlegen uns ganz altmodisch einen Brief, den auch der Herr Papa oder eine eventuelle Ehefrau lesen könnten, ohne dass William Ärger kriegt, mit dem er aber wieder Kontakt mit dir aufnehmen kann, wenn er möchte. Okay? Na gut. Aber jetzt muss ich schlafen, ich bin total erledigt.«
    Sie war einfach zu müde, um sich noch Tante Kunigundes Tee zu machen. Als sie dann aber im Bett lag, drehte sich alles um sie. Sie fühlte sich, als wäre sie in die Trommel einer Waschmaschine gesperrt, hin und her geschleudert von den Ereignissen des Tages, eines Tages, der mit der Illusion von Freiheit begonnen hatte. Bruchstücke von Bildern des heute Erlebten überfielen sie, eines drängte das andere beiseite, das sich dann umso lauter bemerkbar machte. Es dauerte lange, bis die Kakofonie in ihrem Kopf allmählich verebbte. Doch aus den langsamer schwappenden Wellen stiegen die erstickenden Nebel der Reue auf. Dicke harte Brocken Traurigkeit staken in ihrer Kehle; Hanna schaffte es nicht, sie hinunterzuschlucken, sie lauerten in jedem Gedankengang und

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