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Bamberger Verrat

Bamberger Verrat

Titel: Bamberger Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Degen
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leidlich guter Schütze, und die Anerkennung tat ihm gut.«
    Ich hatte irgendwo gelesen, dass in der
DDR
alle Schützenvereine aufgelöst worden wären, und fragte ihn danach. »Ja, Sie haben recht«, sagte er. »Eigentlich waren Schützenvereine in der Deutschen Demokratischen Republik verboten. Aber es gab Ausnahmen. In unserem Dorf war einer von den alten Schützen in der Partei an bedeutende Stelle aufgestiegen und gründete dann eine ›Gesellschaft für Sport und Technik‹ mit dem Ziel der Freizeitgestaltung für technisch interessierte Jugendliche. Einmal nahm Vater uns mit ins Schützenhaus. Sie hatten dort, weiß der Henker, warum, vielleicht von einem Maskenfest, eine kleine Armbrust, und der Vorstand gab sie Franz aus Jux. Sie zog ein wenig nach links, aber nach zwei Schuss hatte Franz das raus, und bald traf er die Scheibe mit Sicherheit und oft ins Schwarze. Das Hallo war groß, und von da an war Franz so etwas wie das Maskottchen des Vereins. Er war damals ein kleiner zarter Knirps von sechs Jahren, mit goldblonden Locken und einem Engelsgesicht. Und dann diese Treffsicherheit! Ich war auch nicht schlecht und gewann später eine Reihe von Pokalen, aber ich hatte bei Weitem nicht das Talent wie Franz. Sobald er ein Gewehr halten konnte, gaben sie ihm eins. Beim ersten Mal hätte er beinahe den Vorstand erschossen, weil er ja gelernt hatte, den Linksdrall der Armbrust auszugleichen. Aber bald schoss er auch mit dem Gewehr wie der Teufel. Im Verein waren auch ein Förster und ein Jäger, die nahmen Franz oft mit – ich hatte nicht so viel Zeit – und brachten ihm alles über die Jagd bei. Tja …« Wilhelm Novak holte seinen Blick aus der Tiefe seiner Quadrate zurück und sah mich an, als würde er mich gerade erst bemerken. »Ist Ihre Frage nach der Leidenschaft meines Bruders für den Wald und die Jagd damit hinlänglich beantwortet?«
    Â»Mehr als hinlänglich«, sagte ich. »Jetzt kann ich auch verstehen, warum er so unverhältnismäßig auf den Entzug seines Jagdscheins reagiert hat. Das war doch eigentlich der ausschlaggebende Grund für seine Flucht in den Westen.«
    Novaks Gesicht erstarrte. Er hatte jetzt wieder sein Soldatenkinn. »Das war ein kindischer, unüberlegter Entschluss. Kindisch und dumm!«
    Ich konnte mich einfach nicht bremsen. »Aber dafür die Todesstrafe, für einen kindischen, dummen Entschluss?«
    Das Kinn schob sich noch weiter vor. »Das … das Urteil – (›Todesurteil‹ brachte er offenbar nicht über die Lippen) –, das Urteil erfolgte nicht wegen Republikflucht, sondern wegen Spionage. Kein Staat der Welt akzeptiert feindliche Spionage. Es musste ein Exempel statuiert werden.«
    Ich glaube, ich habe ihn völlig fassungslos angestarrt. Was muss dieser Mann in sich zerstört haben, um so einen Satz sagen zu können – »ein Exempel statuieren« – an seinem geliebten kleinen Bruder? All die freundlichen, hellen, warmen Seiten, die in seiner Erzählung mitgeklungen hatten, muss er abgetötet oder zugangssicher weggesperrt haben, um dem Staat weiter dienen zu können, der seinen Bruder getötet hat. Welch ungeheure Energie zur Verdrängung, zur Verbiegung muss das gekostet haben.
    Kunigunde schüttelte bei der Erinnerung daran noch immer betroffen den Kopf. Sie legte ihr Manuskript und ihre Brille beiseite, lächelte etwas verlegen und sagte: »Weißt du, ich hab diese Interviews möglichst persönlich geschrieben, so wie ich sie halt erlebt hab. Ich weiß nicht, ob mein Prof das akzeptiert. Aber ich will ja, dass die Leser die Emotionen mitkriegen. Na ja, mal sehen, zur Not muss ich es halt umschreiben.«
    Â»Das wäre aber verdammt schade«, meinte Hanna, noch immer ganz gebannt. »Das ist richtig gut geschrieben.«
    Kunigunde versteckte ein zufriedenes Strahlen hinter Geschäftigkeit. Sie stand auf, trug die Eisschälchen in die Küche und brachte ein Holzbrett mit Käse und Nüssen und den »Bacchus« von ihrem neuen Lieblingswinzer aus Zell am Ebersberg.
    Â»Aber hat Wilhelm Novak seinem Bruder denn nicht helfen können? Du hast doch gesagt, dass er ein hohes Tier in der Verwaltung war.«
    Â»Wohl nicht. Erstens war er damals erst am Anfang seiner Karriere, und außerdem bekam er durch die Geschichte mit seinem Bruder selbst erhebliche

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