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Bamberger Verrat

Bamberger Verrat

Titel: Bamberger Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Degen
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Verkäuferin in einem Kleidergeschäft. Eigentlich … eigentlich erinnert sie mich irgendwie an …«, Kunigunde schob nachdenklich die Unterlippe vor, »an einen zerbrochenen Spiegel. Aus jeder Scherbe schaut dich jemand anders an. Einerseits wirkt sie irgendwie flach, auch nicht besonders intelligent, aber andererseits ist sie auch clever, weiß, wie sie ihr Gegenüber beeindrucken kann.«
    Kunigunde hob ihr Glas, ließ den Wein darin etwas rotieren und schaute durch die goldene Flüssigkeit auf das Bild in ihrer Erinnerung. »Und sie kann sehr emotional reagieren. Als die Rede auf den Prozess gegen Hans Kromm kam – du weißt schon, der, der ihren Vater verraten hat –, da ist sie förmlich explodiert und hat den Richter als schmierigen Waschlappen beschimpft, der den Verräter viel zu glimpflich habe davonkommen lassen. Die ganze bundesdeutsche Justiz sei nichts als ein Haufen alter Trottel. Stell dir vor, sie forderte, dass man die Todesstrafe wieder einführen muss. So etwas kann ich einfach nicht verstehen! Wie kann jemand, dessen eigener Vater hingerichtet wurde, glauben, dass die Todesstrafe ein geeignetes Mittel wäre, Gerechtigkeit herzustellen?«
    Â»Na ja, vielleicht ist da der gleiche Mechanismus am Werk wie bei geschlagenen Kindern, die ja auch oft ihre Kinder schlagen.« Hanna gähnte und sah auf die Uhr. »Meine Güte, es ist schon fast elf. Ich muss ins Bett. Ich muss morgen ganz früh raus, damit ich mein Seminar wenigstens noch ein bisschen vorbereiten kann. Danke für das wunderbare Essen. Es geht mir schon etwas besser.«
    Â»Glaubst du denn, dass du schlafen kannst? Ich geb dir einen Tee mit, der hilft.«
    Â»Ach, du immer mit deinen Hausmittelchen.« Hanna streichelte Kunigundes Arm. »Aber okay, kann ja nicht schaden.« Sie lächelte. Dann schlug sie sich plötzlich mit der Hand gegen die Stirn. »Ach du liebe Zeit – Tanja. Die hab ich vollkommen vergessen. Hoffentlich schläft sie schon, wenn ich heimkomme. Ich helf ihr ja gern, aber …«
    Â»Ist ja nur für kurze Zeit«, tröstete Kunigunde sie. »Morgen kann sie bestimmt wieder in ihre eigene Wohnung zurück.«

26
    Tanja schlief nicht. Sie saß mit hochgezogenen Beinen unter einer Decke auf der Couch und schaltete den Fernseher aus, als Hanna hereinkam. Sie sah etwas verlegen aus.
    Â»Im Kühlschrank war noch eine offene Flasche Wein. Ich hab mir etwas davon genommen. War das okay?«
    Â»Na klar doch.« Hanna wickelte sich den Schal vom Hals. »Mach dir keinen Stress. Gute Nacht, ich geh dann jetzt ins Bett. Vergiss nicht, die Heizung klein zu drehen, wenn du …«
    Â»Hanna, hast du noch ein paar Minuten? Ich bin echt … na ja, keine Ahnung, aber … aber ich hab doch sonst niemanden zum Reden.«
    Hanna unterdrückte einen Seufzer, während sie zur Garderobe ging, um ihren Mantel aufzuhängen. Das hatte sie eben nun davon. Damals, als sie Tanja im Haus am Nonnengraben aufgelesen und zu Tante Kunigunde gebracht hatte, hatte sie ihr nur helfen wollen.
    Erst mit der Zeit war ihr klar geworden, dass Hilfe auch Bindung bedeutet und eine gewisse Verantwortung. Sie hatte Tanja aus ihrem Dasein als Stadtstreicherin geholt und auf einen neuen Weg gebracht; das konnte auch sie nicht mehr aus ihrem Leben löschen.
    Bisher war diese Beziehung leicht zu tragen gewesen: Tanja machte ihre Jobs anständig und kümmerte sich mit bewundernswerter Geduld um Klein-Will; Benno und Hanna hatten sie hin und wieder zum Essen eingeladen und gelegentlich zu Ausflügen oder zum Nikolausfest bei Tante Kunigunde mitgenommen.
    Doch plötzlich wurde Hanna bewusst, wie einsam Tanja im Grunde sein musste, durch das Kind ausgeschlossen vom üblichen Lebensstil Gleichaltriger. Wie hatte sie das nur übersehen können? Tanja hatte nicht einmal jemanden zum Reden … Eine Welle von Mitleid und schlechtem Gewissen ließ Hanna tief durchatmen. Sie rückte sich einen Sessel zurecht und schenkte sich aus dem Bocksbeutel ein.
    Â»Also gut, auf ein Glas.«
    Â»Ich glaub, ich hab dir nie von Wills Vater erzählt«, begann Tanja eilig, als hätte sie den ganzen Abend auf diesen Moment gewartet. »Wie ich ihn kennengelernt hab und so. Vielleicht ist das ja mit Charly und dem ganzen Scheiß wieder hochgekommen. Aber nein … eigentlich hab ich schon die ganze Zeit immerzu dran

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