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Bamberger Verrat

Bamberger Verrat

Titel: Bamberger Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Degen
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jemand einmal ernsthaft der Geschichte meines Vaters annimmt. Die bisherigen Zeitungs- und Fernsehberichte waren ja überwiegend politisch geprägt oder eher auf Sensation aus.«
    Â»Na ja, früher standen ja auch die Akten nicht zur Verfügung. Die Journalisten mussten sich auf mündliche Berichte verlassen. Aber eine wissenschaftlich Aufarbeitung fehlt tatsächlich bis heute.«
    Â»Also, ich helfe Ihnen gerne, soweit ich kann. Was wollen Sie denn wissen?«
    Kunigunde schaltete auf ein bestätigendes Nicken von Lieselotte Stolz hin das Aufnahmegerät an. »Wie ich Ihnen schon geschrieben habe, geht es mir in erster Linie um das innere Bild der Betroffenen von den Vorgängen. Wenn Sie an Ihren Vater denken, woran erinnern Sie sich dann ganz spontan?«
    Lieselotte Stolz blickte an Kunigunde vorbei und stützte das Kinn in die Hand.
    Â»An sein Lachen«, sagte sie dann. »Er hatte ein Lachen, das die Welt verzaubern konnte. Und er lachte oft, damals, als ich noch klein war. Da hat er mir Lieder vorgesungen und mich auf seinen Knien reiten lassen. Damals war ich noch sein Augenstern. ›Lottchen Augenstern‹, rief er, ›komm, wir gehen in den Wald.‹ Und dann erklärte er mir, welchen Baum man woran erkennt und welche Pilze essbar sind und was die Geräusche des Waldes bedeuten.«
    Der Satz klang, als hätte sie ihn schon oft zitiert.
    Sie trank leise schlürfend von dem heißen Kaffee und fuhr seufzend fort: »Doch in den letzten Jahren lachte er kaum noch. Er wurde immer mürrischer und reizbarer. Er war auch oft fort, zur Ausbildung oder im Auftrag der Grenzpolizei. Und bei anderen Frauen war er auch, leider. Deshalb hab ich eine Halbschwester, leider.« Sie seufzte wieder, tief. »Meine Eltern haben sich deshalb und auch wegen blöder Kleinigkeiten immer öfter gestritten, und dann ist Vati abgehauen in den Wald. Oft ist er nur kurz heimgekommen vom Dienst, hat sich umgezogen, und weg war er. Und er hat mich nie mehr mitgenommen.«
    Â»Warum hat er sich denn so verändert?«
    Lieselotte Stolz kniff leicht die Augen zusammen. »Heute weiß ich, dass er einfach mit seinem Leben nicht mehr zurechtkam; er konnte seinen Beruf nicht mehr leiden, er hatte mit seinen Vorgesetzten und mit den Parteigenossen im Ort Streit, und mit meiner Mutter … na ja, sie ist ihm wohl auf die Nerven gegangen. Aber damals dachte ich, ich wäre schuld an seiner schlechten Laune. Ich habe verzweifelt versucht, ihm alles recht zu machen und ihn wieder zum Lachen zu bringen. Aber meistens beachtete er mich gar nicht. Oft schob er mich beiseite, wenn ich ihm ein Geschenk brachte, und rannte hinaus. Arg war das.« Lieselotte Stolz holte ein Taschentuch aus ihrer Strickjacke, wischte sich die Augen und schnäuzte sich.
    Kunigunde sagte vorsichtig: »Es ist schlimm, dass Kinder so oft die Schuld an den Fehlern der Erwachsenen auf sich nehmen.«
    Doch Lieselotte Stolz ging nicht darauf ein; sie war ganz in ihren Erinnerungen gefangen. »Das Einzige, wo wir uns noch trafen, das waren die Rehe. Vati hatte ein verletztes Rehkitz mit nach Hause gebracht, und wir pflegten es wieder gesund. Er baute ihm auf der hinteren Wiese einen großen Auslauf, und einige Zeit später brachte er ein zweites Rehjunges mit. Einer seiner Jagdfreunde hatte dessen Mutter erschossen. Vati hätte so was nie getan, nie. Die zwei waren so herzig! Emma und Waldi hießen sie, und wenn wir, Vati und ich, sie fütterten und streichelten und gemeinsam auf der Hausbank saßen und ihnen zuguckten, dann war es manchmal fast wie früher.«
    Plötzlich stieß sie wütend die Luft aus. »Deshalb war es ja auch so besonders gemein, als diese Schweine von der Partei uns die Rehe weggenommen haben, nach Vatis Flucht. Damals haben sie alles getan, um uns zu quälen. Jeder im Dorf wusste, wie Vati an den Rehen gehangen hat. Und darum kamen diese Arschlöcher eines Tages einfach an und haben die Rehe weggeholt. Dazu hatten sie keinerlei Recht, keines! Das waren unsere Rehe, das ging die überhaupt nichts an! Dieses Drecksgesindel! Diebstahl war das, Raub!«
    Sie schlug erbost mit der Faust auf den Tisch. »Aber so was ist natürlich nie bestraft worden. Von wem auch? Bei wem hätten wir uns denn beschweren sollen? Nach Vatis Flucht waren Mutti und ich ja wie Aussätzige im Dorf. Bis auf Oma und ganz wenige Freunde von Vati, die mehr oder weniger

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