Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bamberger Verrat

Bamberger Verrat

Titel: Bamberger Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Degen
Vom Netzwerk:
offen zu uns hielten, sprach doch kaum noch jemand mit uns. Die hatten alle Angst.«
    Lieselotte Stolz war so weit weg, dass Kunigunde einige Augenblicke verstreichen ließ, bevor sie ihre nächste Frage stellte: »Und Ihre Klassenkameraden, waren die denn auch –?«
    Â»Ach, die!«, unterbrach sie Frau Stolz. »Die meisten waren hundsgemein. In der Schule war es überhaupt schrecklich. Die Lehrer waren alle stramme Parteigenossen und stellten Vati als abschreckendes Beispiel hin. Allmählich war nämlich durchgesickert, dass er in den Westen rübergemacht hatte, obwohl Mutti immer sagte, sie wüsste nicht, wo er ist. Jeden Tag und jeden Tag hämische oder höhnische Bemerkungen, zum Teil als Mitleid getarnt: ›Ach du arme Halbwaise. Aber so geht es, wenn man die Ideale unseres Arbeiter- und Bauernstaates verrät‹ und so weiter und so weiter. Es war kaum auszuhalten. Und dann auch noch die Rehe weg! Und Mutti wurde immer seltsamer. Entweder sie heulte, oder sie saß da und starrte vor sich hin und konnte sich zu nichts entschließen. Oder sie packte hektisch irgendwelches Zeug zusammen, und dann fuhr sie das Paket mit dem Fahrrad in einen der Nachbarorte und schickte es von dort aus in den Westen. Als ob nicht jeder im Dorf gewusst hätte, was sie da machte. Aber für Vernunftgründe war sie ja nicht mehr erreichbar. Eigentlich war sie überhaupt nicht mehr erreichbar, als wäre sie nicht mehr da, nicht mehr meine Mutti. Es war schrecklich.« Lieselotte Stolz zeichnete mit dem Zeigefingernagel tiefe Rillen ins Tischtuch.
    Â»Ich finde, das klingt danach, als hätte sie eine Depression gehabt. Diesen Eindruck hatte ich auch schon, als ich ihre Briefe las.«
    Â»Ja, das war es wohl. Aber begreif das mal als Kind! Ich weiß nicht, wie ich diese Zeit überstanden habe.«
    Frau Stolz zerkrümelte ein Stückchen Kuchen zwischen den Fingern, ohne es zu bemerken.
    Â»Hätte ich wohl auch nicht ohne meine Oma, also Muttis Mutter. Die war einfach da und hat mich festgehalten und mir Arbeit gegeben und das Gefühl, dass sie mich dringend braucht. Das stimmte auch; sie brauchte dringend Hilfe auf dem Bauernhof, für sie allein war die Arbeit längst zu viel und zu schwer. Aber es war vor allem die Art, wie sie das gemacht hat, Danke gesagt hat, wenn ich etwas besonders gut gemacht hatte.« Sie lächelte. »Oft hat sie mir übers Haar gestrichen und was zu essen gemacht, was ich besonders gern mochte. Das war meine Rettung, besonders in der Zeit, nachdem Vati und Mutti verhaftet und weggebracht worden waren. Es war meine Rettung, dass ich da bei ihr bleiben durfte. Wenn ich damals in ein Heim gemusst hätte, ich glaube, ich wäre eingegangen.«
    Als Lieselotte Stolz tief durchatmete und sagte: »Ja, das war mein Glück«, wagte Kunigunde vorzuschlagen: »Wissen Sie, es wäre gut, wenn Sie Ihre Erlebnisse einmal aufschreiben würden. Das wäre auch für künftige Generationen …«
    Â»Aber das habe ich ja gemacht, es aufgeschrieben, allerdings nur für mich. Ich lese das immer mal wieder durch und verbessere hie und da etwas. Das hilft mir, damit fertigzuwerden.«
    Ach, darum klingt ihre Erzählung manchmal so stilisiert, dachte Kunigunde. Sie zitiert sich selbst. Dann fragte sie: »Und wie ging es Ihnen, als Ihre Mutter aus dem Gefängnis kam?«
    Â»Beschissen. Vier Jahre Zuchthaus haben meine Mutter nicht gerade fröhlicher gemacht. Vier Jahre Zuchthaus, das muss man sich mal vorstellen, nur dafür, dass sie bei ihrem Mann sein wollte. Die hat doch nie fortgewollt aus der DDR , die hatte gar nichts gegen das System. Sie hat sich sogar anfangs engagiert, im Dorffrauenkollektiv oder wie das hieß. Erst als der neue Bürgermeister und seine Genossen sich dann so aufspielten, hat sie auch mal was Aufmüpfiges gesagt. Aber das war doch persönlich, nicht politisch.«
    Frau Stolz hob die Kaffeekanne und fragte: »Mögen Sie noch eine Tasse?«
    Als Kunigunde nickte, schenkte sie ihr ein, schob die Zuckerdose in ihre Nähe und fuhr fort, als hätte es diese Unterbrechung nicht gegeben: »Auch dass Vati in den Westen ging, das war eigentlich weniger politisch motiviert. Er war nicht der tragische Held, der nur die Freiheit wollte, wie er dann später in den Medien dargestellt wurde. Er konnte nur einfach die Machtspielchen und die Demütigungen von diesen Parteibonzen

Weitere Kostenlose Bücher