Banana Pancake Trail: Unterwegs auf dem vollsten Trampelpfad der Welt (German Edition)
sehe ich Jans Balkon und dahinter eine Girlande von bunten Glühbirnen, unter der ein Inder abends immer Fisch für die Gäste grillt. Außer Jan und mir sind nur Israelis hier. Die Israelis bleiben in Goa lieber unter sich. Tagsüber sitzt Jan auf seinem definitiv nicht erdbebensicheren Balkon und liest in einem Buch, von dem er mir immer wieder sagt, ich müsse es unbedingt auch mal lesen. Es heißt Der Alchimist . Abends sitzt er am Strand und meditiert. Morgens macht er Yoga.
Jan sagt, er habe vor drei Monaten mit dem Fleischessen aufgehört: «Fleisch ist nicht ‹shanti›, und Alkohol ist eine Droge, die mich in meiner spirituellen Entwicklung zurückwirft.»
Da die wenigsten Asiaten das Konzept eines vegetarischen Lebens nachvollziehen können, ist es in den meisten Ländern nicht so leicht, ein Gericht ohne Fleisch zu bekommen. Indien aber ist anders. Die meisten Inder essen so selten Fleisch, wie sie Alkohol trinken. Nicht zuletzt deswegen übt das Land auf viele Esoteriker einen so großen Reiz aus: Fleischgenuss verhält sich zum Veganertum wie Saufen zum Kiffen – das eine ist grob, körperlich, wollüstig, das andere, feinstofflich, spirituell, versponnen.
Wenn er nicht gerade kifft, raucht Jan eine Schachtel Zigaretten am Tag und isst einmal im Monat Pilze. «Ist das einzige Zeug, was mich spirituell noch weiterbringt», hat er gesagt.
Ich glaube, Jan hatte Drogenprobleme, bevor er die Schweiz verließ. Jedenfalls spricht er über Drogen, deren Namen die meisten Leute noch nie gehört haben, wie über gute alte Freunde, denen man sich leider entfremdet hat. Die Kette mit dem indianischen Traumfängerdings baumelt an seinem Hals. In Dharamsala, im Norden Indiens, hat er sich ein Dreieck mit einem Strich auf die Stirn tätowieren lassen. Es ist keine kunstvolle Tätowierung, ja nicht einmal eine richtige Zeichnung. Es handelt sich nur um vier Striche. Es sieht aus, als hätte er es sich selbst vor dem Spiegel mit einem Kugelschreiber auf die Stirn gemalt. Aber es ist ein echtes Tattoo.
Jan sagt: «Dies ist mein Zeichen, es ist mir erschienen, deswegen muss ich es jetzt tragen.»
Am Strand von Arambol in Goa ist das nicht weiter schlimm, weil jeder entweder eine komische Frisur, eine Tätowierung im Gesicht oder sehr schlechte Zähne hat. Weiter hinten im Dschungel lebt sogar ein Holländer auf einem Baum. Man denkt sich höchstens: Was macht Jan mit diesem Ding auf der Stirn, wenn er wieder in der Schweiz ist?
Jan meditiert dreimal täglich. Am liebsten kurz vor Sonnenuntergang. Er setzt sich dann im Halblotussitz (den richtigen Lotussitz mit den doppelt verhakten Beinen schafft er noch nicht, wie er sagt) in den Sand mit dem Gesicht zur Brandung. Er legt eine Hand in die andere und schließt die Augen. Er sitzt wirklich lange so da. Meistens ist die Sonne schon untergegangen, wenn er wieder aufhört. Es sieht eigentlich sehr malerisch aus, wie er so buddhamäßig dasitzt, während der Himmel über ihm erst orange, dann rosa und schließlich lila wird und die Gischt immer unwirklicher leuchtet.
Trotz all seiner Entspannungsübungen machte er einen überspannten Eindruck. Es ist nämlich so, dass Jan schlagartig extrem übellaunig wird, wenn ihn irgendetwas von seiner Abendmeditation abhält – zum Beispiel ein bestelltes, aber vom Kellner vergessenes Essen oder eine Inderin, die Saris verkaufen will. Hinzu kommt, dass Jan einen Missionierungsdrang hat. «Jeder sollte meditieren», sagt er. «Auch du!» Damit meint er mich.
Ich setze mich mit Jan also bei Sonnenuntergang vor die Brandung. Er zerrt seinen linken Knöchel auf seinen rechten Oberschenkel. Es sieht grob aus. Ich soll es auch probieren. Es geht nicht.
«Mach dich locker», schreit Jan. «Du kannst dich auch normal hinsetzen. Nicht jeder schafft am Anfang gleich den Lotussitz.»
Dann sagt er: «Konzentriere dich auf deinen Atem. Wenn du einatmest, denkst du daran, dass du einatmest. Wenn du ausatmest, denkst du daran, dass du ausatmest.»
Und sonst nichts?
«Wenn du etwas anderes denkst, denkst du: Okay, ich habe gerade an etwas anderes gedacht, und jetzt denke ich wieder ans Atmen. Bleib ganz ruhig, mach dir keinen Stress, wenn du etwas anderes gedacht hast.»
«Und dann?»
«Nix und dann. Du konzentrierst dich nur auf deinen Atem. Auf nichts anderes. Das entspannt. Du wirst sehen: Danach bist du ein anderer Mensch. Erst bei höheren Stufen kann man auch über so etwas wie ein Mantra meditieren. Anfänger machen die
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