Banana Pancake Trail: Unterwegs auf dem vollsten Trampelpfad der Welt (German Edition)
Atemmeditation. Ich habe schon ein Mantra.»
Wir schließen die Augen. Dann beginnt Jan zu singen: «Eiheinatmehen – auhausahatmehen. Eiheinatmehen – auhausahatmehen.»
Ich denke zuerst daran, dass ich einatme. Als ich ausatme, denke ich aber immer noch daran, dass ich einatme. Als mir das auffällt, denke ich an das Chicken Marsala in meinem Magen und was wohl gerade damit passiert und dass ich, seitdem ich hier bin, erst ein einziges Mal Durchfall hatte, was für Indien gar nicht so schlecht ist.
Ich höre Jan schnaufen. Er sagt: «Einatmen, ausatmen.» Er spricht die Wörter in einem leichten Singsang: «Eiheinatmehen – auhausahatmehen.»
Das Meer rauscht, ich denke jetzt an das Meer und was wohl für Viecher da drin sind. Und dann daran, dass ich mit fünf Jahren im Sommerurlaub an der Adria mal von einer Qualle gestochen wurde, was ebenso schmerzhaft wie eklig war. Ich denke an meine Exfreundin und daran, was die jetzt wohl so macht, und auch, dass der Belgier in der Hütte neben mir so laut schnarcht, dass letzte Nacht der Italiener aus seiner Hütte rübergekommen ist und den Belgier beschimpft hat.
«Eiheinatmehen – auhausahatmehen», sagt Jan.
Dass es die Belgier irgendwie immer abkriegen – Dutroux, beleuchtete Autobahnen, keine anständige Regierung, und dass der Belgier da drüben eigentlich nichts dafür kann, weil man ja nie ein Individuum dafür verantwortlichen machen kann, was seine Mitbürger so an Blödsinn machen. Als Deutscher hat man ja auch nicht gerade den besten Ruf, obwohl die Deutschen mittlerweile wieder sehr gemocht werden, von den Chinesen wegen der Autos und von manchen Moslems wegen Hitler … Irgendwann kommt man immer auf Hitler. Hitler, Hitler. Das ist das Godwin’sche Gesetz: Irgendwann landet man immer bei Hitler.
«Eiheinatmehen – auhausahatmehen.»
Auf jeden Fall denke ich nicht mehr ans Einatmen und Ausatmen, das habe ich mittlerweile total vergessen. Dann werde ich nervös.
Eine Fliege sitzt auf meiner Nase.
Ich weiß nicht, ob ich Jan fragen soll, was man macht, wenn sich, während man meditiert, eine Fliege auf die Nase setzt. Soll man die Meditation unterbrechen und die Fliege verscheuchen? Muss man die Fliege ertragen und sich trotzdem auf seinen Atem konzentrieren? Ich entscheide mich für den Mittelweg und wackle mit der Nase. Die Fliege bleibt, wo sie ist. Indem ich meine Unterlippe nach vorn schiebe, versuche ich, Luft auf die Nase zu blasen, damit die Fliege wegfliegt. Sie rührt sich. Ich glaube zu spüren, wie sie ihre Beine bewegt, was noch mehr kitzelt.
«Eiheinatmehen – auhausahatmehen», singt Jan.
Ich schnaube, die Fliege fliegt weg. Ans Atmen habe ich jetzt schon so lange nicht mehr gedacht, dass es eh nichts mehr bringt. Jan zuliebe bleibe ich sitzen und lasse meine Augen geschlossen. Dann spüre ich etwas Feuchtes.
«Eiheinatmehen – auhausahatmehen», chantet Jan.
Vielleicht ist Flut, und das Wasser ist mittlerweile ganz nah. Das wäre theoretisch eine Möglichkeit, nur leider ist das Wasser warm und scheint aus einem dünnen Strahl zu kommen. Ich öffne die Augen. Das Erste, was ich sehe, ist die Brandung, und zwar genau dort, wo sie war, als ich die Augen geschlossen habe. Das zweite ist ein Hund. Genauer gesagt ein verlauster, staubiger Strandköter mit einer offenen Wunde hinter dem Ohr, der mich anpinkelt. Ich schreie, ich renne zum Wasser. Ich denke tatsächlich an nichts anderes als an Wasser in diesem Moment – und an den verfickten Köter. Als ich mich beruhigt habe, drehe ich mich um. Jan sitzt noch immer am derselben Stelle und meditiert. Er riecht nicht gut, und er hat eine Falte auf der Stirn.
Ich sage: «Vielleicht waren die Schwingungen heute nicht so gut, der Hund hat das irgendwie gespürt.»
Jan erwidert: «Ich werde das Drecksviech vergiften!»
Ich glaube mittlerweile auch, dass alles miteinander zusammenhängt. Die Tatsache, dass ich ausgerechnet Jan im Zug getroffen habe, war bestimmt kein Zufall. Ich glaube, es sollte so passieren. Man wird schneller zu einem Esoteriker, als man denkt. Wenn man mehr als drei Wochen am selben Strand absteigt und sich nur davor fürchtet, von einer herabfallenden Kokosnuss erschlagen zu werden, ist man ein williges Opfer. Da ist diese Leere im Kopf, die das Wenig- und Nichtstun erzeugt, die Gedanken hängen sich bereitwillig an jedem kleinen Haken auf, den sie zu greifen bekommen. Gleichzeitig baut das Gehirn ab und scheut sich vor nicht zwingend notwendigen
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