Banana Pancake Trail: Unterwegs auf dem vollsten Trampelpfad der Welt (German Edition)
verrückt wäre, mit dem Zug zu fahren.
Jan hat wirre, blonde Locken und trägt eine orangefarbene Leinenhose und ein ärmelloses T-Shirt. Seine Augen strahlen, der Schweißfilm auf seinem Gesicht schimmert in der Morgensonne. Wir haben zwölf ruckelige, laute, schlecht riechende Stunden hinter uns. Der Geschmack in meinem Mund ist von Zigaretten, Chai und Kaugummi als Zahnputzersatz ganz schal. Jan spricht nicht viel. Die meiste Zeit blickt er zufrieden, geradezu entrückt, an die Decke des Abteils, lässt sich vom Zug durchrütteln und schweigt. Irgendwann sagt er: «48 Stunden, 48 Stunden!», und schüttelt lächelnd den Kopf, als könnte er selbst gar nicht fassen, was er da fertiggebracht hat. Er sagt das, als hätte er gerade den ersten Marathon seines Lebens gelaufen.
Echte Backpacker fliegen nicht. Sie legen Strecken über Land zurück. Wer fliegt, ist ein Weichei, ein reiches noch dazu. Nur Drei-Wochen-Touristen mit viel Geld und wenig Zeit leisten sich Inlandsflüge. Solche Reisende unterscheiden sich nur noch oberflächlich von den Rollkoffermenschen. Backpacker fahren. Was zählt, ist die Bewältigung der Distanz in einem möglichst unbequemen Gefährt. Ab zwölf Stunden wird die Fahrt für erzählenswert gehalten. Ab 24 Stunden wird sie zu einem abstrakten Orden, einer Auszeichnung, die – im richtigen Kreis erwähnt – zahlreiche «Oh my God»-Ausrufe seitens der Zuhörer provoziert und diese dazu einlädt, ebensolche Anekdoten zu erzählen. Dann folgen Geschichten aus dem Chicken-Bus, in dem jemand für 14 Stunden die Sitzbank mit einer Guatemaltekin und vier Hühnern teilen musste, beschallt von lateinamerikanischen Liedern, in denen verdammt oft das Wort «corazón» vorkommt. Oder von einem kambodschanischen Pick-up, auf dessen Ladefläche 20 Schweden, Engländer, Israelis und zwei Ziegen gepfercht wurden. Oder von chinesischen Zügen, in denen Bauern vom Land 16 Stunden lang auf den Boden spuckten, bis man sich Gummistiefel wünschte. Am besten aber sind Geschichten aus indischen Zügen.
Echte Backpacker wählen immer die billigste Variante, oft, weil sie tatsächlich sparen müssen. Genauso oft behaupten sie, dass sie «reisen möchten, wie die Einheimischen reisen». Ich glaube, es gibt noch einen anderen Grund: Wer länger als drei Monate sein Leben hinter sich lässt, um in anderen Ländern für sehr wenig Geld nichts zu tun, muss erst mal aus diesem Esel-Karotte-System aussteigen. Wir sind es gewohnt, uns anzustrengen, wenn wir etwas erreichen wollen. Wir müssen lernen, um die Klausur zu bestehen, arbeiten, um Geld zu sparen, freundlich sein, um ficken zu können. Dieses «Streng dich an, wenn du was willst»-System haben wir implementiert. Es ist fest in uns verankert. Wer glaubt, von heute auf morgen aussteigen zu können, irrt. Aussteigen ist harte Arbeit – wobei das natürlich auch wieder nicht stimmt, denn es geht ja gerade darum, loszulassen und sich eben nicht anzustrengen. Es ist also wie der Zen-Buddhismus – irgendwie paradox.
Drei Wochen genügen nicht, um aus diesem Belohnungssystem auszusteigen. Drei-Wochen-Urlauber pressen deswegen so viel wie möglich in ihre Zeit, besuchen 28 buddhistische Tempel, zwei Nationalparks und die Museen der Hauptstadt, um am Ende noch kurz zwei Tage am Strand zu entspannen. Sie machen eine Been-there-done-that-Reise im Schnelldurchlauf, in der Illusion, die wenige Zeit aufwerten zu können, indem sie einfach mehr hineinquetschen. Und sie buchen Inlandsflüge von Delhi nach Mumbai, um wenigstens noch schnell die Tempel von Hampi zu sehen. Genau dadurch stellt sich der gegenteilige Effekt ein. Alles geht weiter wie daheim: effizient sein, Zeit sparen, Zeit nutzen, Stress haben, Herzinfarkt kriegen, Rente, Tod.
An der inneren Einstellung ändert eine solche Reise nichts, dafür ist sie zu kurz. Erst wer länger als zwei Monate unterwegs ist, spürt in sich langsam eine Veränderung. Nach und nach läuft der Effizienz- und Optimierungswahn ins Leere. Er tastet, will etwas greifen, etwas tun, doch da ist nichts. Alles ist schon da: Die Kokosnüsse fallen vom Himmel, ohne dass man dafür etwas tun muss. Das Geld kommt aus dem Automaten, ohne dass man dafür arbeiten muss. Die Sonne scheint jeden Tag, der Druck, wie daheim das schöne Wetter zu nutzen, schwindet. Man gewöhnt sich daran, langsamer zu gehen. Die Mädchen lächeln, ohne dass man dafür besonders kreativ oder charmant sein muss.
Manchen Backpackern gelingt es, sich diesem
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