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Banatsko (German Edition)

Banatsko (German Edition)

Titel: Banatsko (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Kinsky
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schattenlos würden sich lange Reihen fleddriger Maisstrohhaufen über die Felder ziehen.

MEZÖHEGYES
    Der kleine Zug von Battonya nach Mezöhegyes fuhr durch die abgeerntete Landschaft. Er keuchte unter der Fahrt, wie ein angestrengtes Tier. Alles lag offen da, riesig, die Erde trocken und dunkel. Landmaschinen wirbelten Wolken auf, die sich erst nach Stunden setzten. Raubvögel kreisten, zwischen den Stoppeln wimmelte es von kleinen Tieren. Hier und da gingen einzelne Menschen langsam und gebückt die Felder ab und suchten nach Übriggebliebenem. Am Feldrand lagen ihre Fahrräder. Was sie fanden, sammelten sie in groben weißgrauen Säcken aus Plastikgewebe. Auf den großen leeren Flächen sahen die Sammler sehr klein aus.
    Am Bahnhof in Mezöhegyes standen mehrere Züge, rotgelbe Waggons, die einzeln durch die Landschaft pendeln, Grenzen streifen, in Grenzorten halten würden. Die spärlichen Reisenden sahen immer erschöpft aus, ausgelaugt von Hitze, Kälte, Weite, Licht oder Dunkelheit.
    Ich ging in ein Lokal am Bahnhof. ›Central‹ stand in schwarzen Eisenbuchstaben an der weißen Wand. Die meisten Tische in dem großen Raum waren in einer Ecke zusammengeschoben. Der Kellner und die Kellnerin hatten der Gaststube den Rücken zugekehrt, sie saßen am Fenster und ließen die Augen über Bahnhof, Zuckerfabrik und den kleinen Streifen Horizont schweifen, der gelblich und türkis hinter den Gleisen stand. Fast alle Speisen auf der Karte waren durchgestrichen. Die Kellnerin stand vor mir und quittierte mit müdem Schulterzucken meinen Hunger. Später tuschelte sie mit dem Kellner in der Küche, brachte gleichmütig eine unbestellte Speise und schlurfte ebenso gleichmütig wieder mit ihr davon. Das Central sperrte zu, sobald der Abend kam. Am Bahnhof standen nur noch zwei Waggons, die auf die letzte Fahrt an diesem Abend warteten. Über der Zuckerfabrik am Rand von Mezöhegyes ging der Mond auf, blass an einem blassen Himmel.
    In einer kleinen Kneipe sah ich den Kellner und die Kellnerin aus dem Central wieder. Am Schanktisch tranken sie roten Wein aus kurzen stumpigen Gläsern, sie nickten mir unverwundert zu. Ich sah, wie ihre Beine danach strebten, einander zu streifen.
    An dem einzigen Tisch aß ein Mann. Seine Finger und Lippen glänzten von seiner Salami, Schnapsflasche und Glas vor ihm waren fettbeschmiert. Er riss große Stücke von einem weichen Laib Brot. Wenn er in die Salami biss, ruckte er den Kopf nach vorn und sah aus wie ein Tier, das nach einer flüchtigen Beute schnappt. Er erzählte von der Zirkusvorstellung in seinem Dorf, die anderen lachten. In der Musikbox leuchteten die Lieder eines lockenprächtigen Schlagerkönigs. Der Salamiesser warf eine Münze ein, die bebend hohe Stimme von Zámbó Jimmy erklang. Der Salamiesser fuhr sich mit dem Handrücken über die Kehle. Ja, der König war tot. Alle sangen mit, ihre Augen wurden feucht, alle tanzten, in der kleinen Kneipe griff man sich wie zum Reigen um die Taille und tanzte im Kreis. Der Kreis wurde enger, wurde weiter, drehte sich rechts herum, links herum. Ein Mann polterte gegen einen Hocker an der Theke und rappelte sich wieder in den Kreis. Der Salamiesser war sehr betrunken, schmierte sein Salamifett an die Hüften und Taillen seiner Nachbartänzer, schaute mit wehmütigem Grinsen an die Decke. Der Schlagerkönig sang und sang. Tief in der Nacht waren alle müde, die Wirtin schloss die Türe ab, der Salamiesser setzte sich auf sein Fahrrad. Die Finsternis war kühl und feucht, es roch nach Herbst, nach Erde und Rüben und Pferden.
    Am nächsten Tag kam der Zirkus nach Mezöhegyes. Die Erntezeit ging zu Ende, zu beiden Seiten der Straße rieben sich die Arbeiter zwischen den welken Maisstauden und den verbrannten Kartoffelpflanzen die rissigen Hände und schauten dem Zirkus entgegen. Alle Hunde bellten, Kinder standen am Straßenrand und winkten, sie liefen den Wagen hinterher bis zu der Wiese, wo das Zelt aufgeschlagen würde. Aus den Tierwagen drang dumpfes Grollen und Knurren, ein Jaulen und Wiehern, das fremd in der Luft hing und kurz auch die Hunde zum Schweigen brachte.
    In der Dunkelheit saßen die Zirkusleute auf den Stufen ihrer erleuchteten Wagen, sie aßen und riefen sich gelegentlich in ihrer fremden Sprache, die man gern für eine Zirkussprache hielt, etwas zu, lachten auf.
    Die Zuschauer kamen mit großer Erwartung zur ersten Vorstellung. Über der offenen Kuppel des Zeltes hing der dämmernde Himmel. Die erste Nummer bot ein

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