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Banatsko (German Edition)

Banatsko (German Edition)

Titel: Banatsko (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Kinsky
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Umgebenheit vom Wasser, das sein eigener Bestimmer ist, war nichts zu erschüttern. Es war ein Umstand jenseits aller Fragwürdigkeit, der dem Thronen der Insel zwischen den Wogen etwas Hartes, Scharfes verlieh, das erst dem fernen Betrachter sichtbar wurde.
    Ich wollte vor niemanden mehr treten und von meinem früheren Land berichten. Ich spürte, wie die Grenzen am Herzen schliffen und feilten. Wie sich die blassen Linien, die nur auf dem Papier und nicht auf der Erde zu sehen waren, um die Gedanken legten. Wie das fahle, gezeichnete Herbstland unter den Schritten Furchen und Aufwerfungen ins Spiel brachte, die auf ihre Dies- oder Jenseitigkeit befragt werden sollten. Gleichzeitig erschien dem Blick über das in seiner weitausholenden Gleichförmigkeit so unbeugsame, in seiner Flachheit so widersätzige Land jede solche Hüben- und Drübenerwägung maßlos und im bloßen Namen des Besitzens herbeigezerrt. Wer wollte hier entscheiden, was wohin gehörte? Wer hätte je mit bloßem Auge, mit seinen Händen, seinen Füßen hier die Grenze erkennen können? Und doch war hier alles umflossen von der Traurigkeit des Getrenntseins. Diese wächst auf der Ebene und zerschellt an den Klippen der Inseln in ihrer trauerlosen Selbstgenügsamkeit, an ihrer in unablässiger Brandung erprobten Erhabenheit über die Melancholie.

BATTONYA
    Es regnete tagelang. Der Regen drang durch alle Ritzen und die Zimmerdecke. Der Zimmermann Lajos kam und nahm Maß für eine Treppe zum Dachboden. Lajos’ Augen waren schräg und blau, sein Mund lächelte schmal und schief, immerzu, während in seinen Augen eine große Kühle schwamm. Vielleicht war er in kalten Meeren gesegelt, von denen in dieser Gegend nur in Geschichten die Rede sein kann, und dort hatten seine Augen diese Kühle geschöpft. Auf dem rechten Arm trug er eine große Seemannstätowierung, eine nackte Frau, die sich um einen Anker schmiegte.
    Von der obersten Stufe der fertigen Treppe sah ich den Wasserturm, die Kirchtürme, die Dächer, die Bäume am Fluss, die ihr Laub verloren, die Maisstrohhaufen in ferneren Gärten, die gelben, im Dämmer schimmernden Kürbisse, die bis zum Frost in ihrem welken strunkigen Blattwerk lagen, den Horizont. Das war die Fremde, in der ich angelangt war.
    Zum Winter musste vieles repariert werden. Der Attila kann kommen, sagten die Leute, oder: Geh und frag den Attila. Attila hielt eine Ziege mit zwei Zicklein in einem Gehege. Seine Frau saß krumm und klein am Küchentisch und blätterte in einer Zeitschrift, als hätte sie etwas darin verloren. Ihr Haus war niedrig wie ein Zelt. Attila sagte kaum etwas, wenn er bei mir arbeitete, doch manchmal sah ich ihn von Ferne auf der Straße in Männergruppen gestikulieren und ich hörte seine Stimme. Er hatte eine laute Männersprache und eine leise, schweigerische Frauensprache. Eher waren es zwei Arten, nichts zu sagen, und die Männersprache war nichts als ein lautes Schweigen. Sie war eine Sprache, in der jedes Wort nur hieß: Dies ist die Männersprache.
    In meinem Haus richtete er in bedachtsamem Schweigen alles, was zu richten war. Er stellte nie eine Frage und fand sofort für jeden Schaden die richtige Ausbesserung. Zwischen ihm und den Schäden der Dinge bestand eine Verbindung, die außerhalb des Denkens und Redens lag. Es gab nur Worte für einfache Dinge, die ich so lernte. Kies. Sand. Nagel. Leisten. Leim. Die Beziehung zwischen diesen Dingen und der Behebung der Schäden lag weniger im Kopf als in den Händen von Attila, vielleicht auch an anderen Stellen seines Körpers, unter seinen Schulterblättern oder seinem Rippenbogen oder in seiner Fußwölbung. Ich wusste nichts über ihn und er nichts über mich, doch sobald er die Schwelle zu meinem Garten überschritt, breitete sich eine Ruhe aus, als beherrschte er eine Kunst des Beschweigens. Nur einmal redete er ein paar Sätze. Ich fragte ihn nach der Gegend auf der anderen Seite der Grenze. Ja, in Rumänien bin ich gewesen, sagte er. Früher, damals. Er streckte die Hand aus und bewegte sie hin und her, wie ein Paddel, dachte ich, oder eine Schiffsschraube. In den Bergen und am Meer, am Meeresstrand. Während er das sagte, wanderten seine Augen unstet über entferntere Gegenstände.
    Irgendwann war er mit allen Arbeiten fertig, ich bezahlte ihm seinen Lohn, er ging, und mir fehlte sein Schweigen.
    Ich suchte Lajos auf. Sein Haus lag an einem tief zerfurchten Weg, in den Furchen stand das Wasser und wartete auf den Frost. Eine Frau öffnete

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