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Banatsko (German Edition)

Banatsko (German Edition)

Titel: Banatsko (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Kinsky
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schleichen im Schatten der Häuser entlang. Die Katzen schlafen im Verborgenen. Man schaut und schaut und stellt sich vor, was der Horizont zu bieten haben könnte: die graublauen, an den Rändern verschwimmenden Umrisse großer Städte. Sanfte Landschaften der Vielfalt, wo man anderen Beschäftigungen nachgeht als dem Schauen. Oder Häfen, die sich zu einem bewegten Meer öffnen, mit kleinen, bunten Booten, von Bewohnern der Hafengegenden gesteuert, weißen, reglos vor Anker liegenden Schiffen, riesig wie Fabriken, mit Reihen fast in die Wolken ragender Kräne, Wänden und Türmen ausgebleichter und rostig verwitterter Kästen mit Waren, Gut und Besitz, von denen niemand mehr weiß, was angekommen ist und was noch auf Verschiffung wartet. Möwen sind dort, und erst wenn man sich die Möwen vorstellt mit ihren von Gier und Unruhe geplagten schreienden Kehlen, entdeckt man die Stille des flachen Landes, wo die Langsamkeit gedeiht.
    Im Winter gibt es wenig anderes zu tun als zu schauen. Man steht am Fenster, manche hüllen sich in ihre Mäntel und treten vor die Tür, doch die schweren Mützen behindern den Blick. Alle Vögel sind jetzt schwarz und fliegen schräg und lautlos durch das Blickfeld. Hunde bellen aus ihren winterlichen Verschlägen, die Katzen schlafen auf den Fensterbänken. Die Sonnenblumen sind verschwunden. Mit bloßem Auge will man die Bilder aus der schmalen Linie des Horizonts locken, aber nichts tut sich auf. Trotzdem bleibt man stehen, sieht die kurzen Helligkeiten kommen und schwinden, fügt sich in die Nacht und liegt mit offenen Augen in der kalten Dunkelheit.
    Mit der Zeit gewöhnen sich die Augen an die Leere des Winterlands und eines Morgens erkennt man, dass in der von schütterem Schnee oder dünnem Raureif überzogenen Landschaft alles – jeder Zaunpfahl und Grashalm, jede Unebenheit des brachliegenden Bodens – seinen Platz hat.
    Über den letzten Worten hatte sich der Zug in Bewegung gesetzt. Unvermittelt schwieg der Ausflügler, wie betreten über seine Rede. Die Frau in Schwarz schnarchte leise. Die beiden Reisenden am Fenster schienen in ihr Spiegelbild vor dem dunklen Draußen vertieft. Unter lauten Rufen sprangen die Lampenträger vom Bahnkörper auf den anfahrenden Zug.

STADT
    Ich kam aus der Stadt und suchte das Weite. Überall ächzte, stöhnte, schrie und lachte es, in den schmalen Gassen prallte jedes Geräusch an den porösen Häuserwänden ab, riss kleine Stücke Mauerwerk mit sich, die im Fall zu dunklem Staub zerrieselten. Jedes Wort, jede Bewegung stieß an Grenzen. Nachts hörte man das Auf und Zu der Deckel der Abfallkübel, das Scharren und Poltern suchender Hände, gelegentlich erzitterten die Wände vom Aufprall der Schritte Fliehender. In der Stadt glänzte der Asphalt unter schlierigen Lichtern, roch es nach Unglücksfällen, brach Hunger auf. Jeder zur Schau gestellte Gegenstand mahnte an die Möglichkeit seiner Abwesenheit, jedes Vorhandensein warf den Schatten seines Fehlens, bis die Schatten die Dinge eingeholt haben würden.
    Der Staub der sich unter dem unablässigen Geräuschanprall zersetzenden Häuser ließ sich in allen Poren nieder, er überzog die Speisen, rieb die Lider beim Schlafen wund und knirschte zwischen den Seiten der Bücher, trocknete das Papier aus, das brüchig und spröde wurde. Ich zog ein Buch hervor, ein kleines Heft fiel mir entgegen, zerstob im Fall zu dünnen gilbigen Blättern, die sich über den Boden verstreuten. Es war ein kleines Heftbuch mit hellem Umschlag, vertraut aus der Schulzeit.
    ›Von der Verwilderung des Herzens‹ stand darauf.
    Ich hob ein Blatt vom Boden auf. Die Seitenränder hatten sich bis fast an den Rand der gedruckten Buchstaben verzehrt, die dunkel auf gedunkeltem Papier saßen, die Seitenzahlen waren verschwunden.
    Es ist gemeinhin bekannt, dass das Herz ein Muskel ist, ein Stück Fleisch und Blut, ohne dessen stete Bewegung wir verloren wären. An der Unstetheit unseres Lebens findet es seine Erprobung. Jeder dem Gefühl zugefügte Schmerz dringt in die zähen Fasern des Herzens, dehnt sie und reißt an ihnen, und jede solche Einübung des Herzens in die Widrigkeiten der Welt hinterlässt ihre Spur in Gestalt von Aufwerfungen, Verwulstungen und Verhärtungen. Die sanfte Wölbung des Herzmuskels verzieht und verfältelt sich, wird zu einer Landschaft der Klüfte und Steilheiten, der jähen Abgründe und wenigen verbliebenen sanften Hänge, zu einer großen, unvorhersehbaren und in einem jeden Menschen

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