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Banatsko (German Edition)

Banatsko (German Edition)

Titel: Banatsko (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Kinsky
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die Schachtel auf das Bett am Fenster, unzählige Fotos, auf der Rückseite beschriftet. Grigores Mutter hatte elf Kinder gehabt. Etliche waren inzwischen tot. Sie hielt mir eine Fotografie nach der anderen entgegen, nannte Namen. Schwarzweißbilder in weichen Grautönen, die allem eine sanfte Mattheit verliehen. Kinder mit neugeborenen Zicklein, Lämmern, Kälbern. Bräute in langen weißen Kleidern, mit Schleier, flankiert von Müttern, Schwestern, Tanten, auf unebenen Dorfstraßen, verschneite Berge im Hintergrund.
    Bistriţa, sagte Grigores Mutter immer wieder, das war ihr Heimatort, Bistriţa im Norden, wo die Berge hoch waren, die Häuser geschnitzte Giebel trugen, wo die Bräute mit verschreckten dunkel-trostlosen Augen und unglücklichem Mund ihrer Hochzeit harrten, im steifweißen Brautkleid, ein Theaterstück nach festen Vorschriften, dessen weiterer Akt unfehlbar ein Begräbnis sein würde. Die Begräbnisbilder zeigten meistens den verstorbenen Ehemann einer der vielen schönen Dorfstraßenbräute, aufgebahrt und von Blumen bedeckt im Sarg ruhend, während die dunkeläugigen ehemaligen Bräute mit offenerem Blick die Hände rangen oder sich anschickten, dem Verstorbenen ein letztes Mal das Gesicht an die Brust zu drücken, aus der unwiderruflich jedes Leben entwichen war. Auch hinter den Sargszenen türmte sich Gebirge mit schroffen Hängen, kleinen Kirchlein, Wald.
    Grigores Mutter teilte die Fotos aus, wie in einem Kartenspiel, an dem allerdings ich die einzige Mitspielerin war, ohne die Regeln zu kennen. Sie nannte die Namen, den Verwandtschaftsgrad, bei Toten die Todesursache. Ana, Tochter, Hochzeit. Vladimira, Enkelin, Hochzeit. Mircea, Sohn, Krebs. Giţa, Schwiegerenkel, Unfall. Kristi, Schwiegersohn, Krebs. Ghiurghiu, Sohn, Herz.
    Dann eine Handvoll hochglänzender Farbfotos mit rötlich oder blau verzerrten Farben, Häuser, an denen man baute, vor malerischen Schneegipfeln, Familiengruppen vor Heiligenbildern und Fernsehapparaten, im Hindergrund breiteten sich die gleichen Decken wie Grigores Mutter sie webte, über Sessel, Betten, Sofas.
    Grigore brachte kleine Kuchen aus der Küche und stellte sie neben die leeren Kaffeetassen.
    Er blieb mitten im Zimmer stehen, die Hände baumelten von den Schultern, die von den ungleich langen Beinen schief wie seine Hüften geworden waren. Ein krummes Kind mit Fieberaugen, das auf einer Zufallsbühne einen Satz aufsagen sollte, den ihm werweißwer aufgetragen hatte.
    Die Heimat ist weit weg, sagte er. Wir sehen die Berge nur im Traum.
    Er griff nach seiner Bahnwärterkappe.
    Bald kommt Ihr Zug, sagte er. Bitte machen Sie ein Foto von mir und meiner Mutter.
    Ich nahm meine Tasche und die Decke. Es war schwül draußen, trüb, alles schwieg, auch die Hunde.
    Da, sagte ich zu den beiden und zeigte auf einen Busch, vor dem sie sich aufstellen sollten.
    Grigore hakte seine Mutter unter, sie setzten ein Lächeln auf, das nichts mehr mit ihren Gebärden und Blicken im Zimmer des Bahnwärterhäuschens zu tun hatte, sie blickten durch meinen Fotoapparat und mich hindurch auf die Berge von Bistriţa in Maramures, aus diesem fernen fremden leeren Land lächelten sie ihren Nichten und Enkeln, Kindern und Geschwistern, vielleicht auch Fremden in den lustigen Bergdörfern zu, wo gehochzeitet und begraben wurde, wo die Zicklein sprangen und bunte Decken aus den Webstühlen flossen. Von einem Augenblick zum anderen traten Grigore und seine Mutter aus ihrem halbdunklen Bahnwärterleben in ihr eigenes Bild, das ihnen eine Dauer verleihen sollte. Ich drückte auf den Auslöser und fragte mich, ob sie auch an ihren Grabstein dachten.
    Der Zug!, rief Grigore gebieterisch und setzte seine Mütze auf, der Zug!
    In der Ferne wurde er sichtbar, pfiff grell durch den späten Nachmittag, der blaue schwankende Zug, der aus dem hitzedunstigen Flussland kam, in großem Bogen von Periam her, und in Halta Aranca hielt, die Türen klapperten, ich stieg ein, und der Zug fuhr weiter nach Sinpetru German, wo ich die Toaka gehört hatte, und nach Arad. Ich lehnte mich aus der Tür und winkte, Grigore und seine Mutter standen unter dem Schild mit seinen kleinen Rostlöchern in den Buchstaben, zwei Schattenfiguren, die es in diesen ungewissen Streifen Horizont verschlagen hatte.

ARAD
    In den Arader Gassen zwischen Mures und den holprigen Straßenbahngleisen an der serbischen Kirche hing die Nachmittagshitze klebrig und weiß. Drei alte Männer saßen im Schatten auf der Piaţa Sarbeasca, unter dem

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