Banatsko (German Edition)
machten den letzten Klatschmohn zwischen den kurzen Maisschwengeln der Grenzfelder matt und dumpf, die Grenzer hockten auf den zerkratzten Bänken im Warteraum des Bahnhofs und erhoben sich nur, um die Stummel ihrer Schmuggelzigaretten verdrossen draußen auf dem Schotter auszutreten. Kein Regen stellte sich ein, nur diese Wind- und Wolkenschübe, die Verdunkelung der Welt, in der die kleinen radelnden, wandernden, rollenden, trabenden Menschen, Wagen, Pferde gegen etwas ankämpften, das sich hinter den Kulissen zusammengebraut hatte und dorthin auch wieder abzog.
Im Kino wurde es finster, wenn die Wolken aufzogen. Der Wind drückte die schweren eisengerahmten Klappfenster im Seitenflur auf, fuhr über die Fotografien von Schauspielern mit ihrem fernen Lächeln, stieß in die braunen filzigen Vorhänge an den Ein- und Ausgängen des Zuschauerraums. Staubflocken, Schnipsel, Blättchen abgeplatzter Farbe tanzten über dem rötlichen Fußboden, Linoleum mit abgetretenem Ziegelmuster, über das die Battonyaer früher ihre Träume oder gar Leidenschaften aus dem Kino nach Hause geschleift hatten.
Die Leinwand war abgebaut. Die Bühne dahinter lag offen, und Attila verputzte die Stirnwand von einem hohen Gestell aus. Er strich über den Putz, bis er glatt und eben war wie ein Tuch.
Vor der Bühne standen alte Fotos aufgereiht, blau- und rotstichige Schauspielerporträts, auf denen die Männer spitzkrägige Hemden trugen, die Frauen die Haare in Locken gelegt, hochtoupiert oder unter ein breites Haarband gepresst hatten. Mit dem Finger wischte ich Staub von den Rahmen, Spinnweben von den Gesichtern. Manche kamen mir bekannt vor, sie alle sahen aus wie Zubehör einer anderen Welt, Requisiten des großen Films Damals , in dessen entlegenen Hintergründen die ärmellosen gepunkteten Sommerkleider meiner Mutter eine ebensolche Rolle spielten wie Zirkuswagen auf langen leeren Landstraßen, ein Fisch auf dem Küchentisch einer Moskauer Gemeinschaftswohnung, die dunklen Kähne auf einem breiten Fluss im Regen, Schallplattengeschäfte mit schweren schwarzen Kopfhörern und die Zwerge zu Füßen von Lola Montez.
Hattest du früher einen Lieblingsfilm?, fragte ich Attila, als er eine Pause machte. Er saß oben auf der Bühne auf seinem Gestell und rauchte. Die Asche fiel in einen leeren Farbeimer.
Ich mag alle Filme, die gut enden, sagte er.
Was ist ein gutes Ende?, fragte ich.
Zum Beispiel die Liebe.
Attila schnipste seinen Zigarettenstummel in den leeren Eimer.
Meine Mutter liebte traurige Filme, sagte er. Sie ging gern ins Kino. Sie kam nach Hause und erzählte die Filme, dabei lachte und weinte sie. Später wurde sie sehr krank und konnte nicht mehr sprechen. Sie hatte einen Krebs im Hals.
Er sah mich fragend an, um zu sehen, ob ich ihn verstanden hatte. Dann legte er die Hand, in der er vorher die Zigarette gehalten hatte, an seinen Hals, und drückte sie um seinen Kehlkopf.
Während der Krankheit saß sie immer am Fenster und schaute hinaus. Sie betrachtete ihre Pfauen, das waren ihre Lieblinge. Vier Pfauen, die im Hof spazierten. Wenn sie eine schöne Feder verloren, musste ich sie ihr bringen. Ich kochte ihr das Essen, und was sie nicht aß, gab ich den Pfauen. Einmal brachte ich ihr eine Honigmelone. Es war sehr heiß. Sie schüttelte den Kopf. Das ganze Zimmer roch nach der Melone. Am nächsten Tag wollte sie auch nichts essen. Mir wurde vom Geruch der Melone schlecht. Ich trug die Melone in den Hof und warf sie auf den Boden. Sie platzte auf, die Pfauen eilten herbei und fraßen das Melonenfleisch aus der Schale. Ich fuhr meine Mutter ins Krankenhaus. Die Krankenschwestern legten sie in ein Bett, sie winkte mir zu. Ich ging hinaus. Ich lief durch die Nacht und rauchte. Alles war leer, alles roch nach Melone. Als ich wieder ins Krankenhaus kam, war meine Mutter tot. Die Pfauen wurden krank. Die Federn waren stumpf und struppig. Sie hatten vom Tod meiner Mutter gefressen.
Es war ganz still im Kino. Ich formte einen Satz in meinem Kopf, den ich sagen konnte, aber ich verschwieg ihn. Mein Vater, wollte ich sagen, mein Vater starb an einem Junitag ganz allein in einem Krankenhaus in Deutschland. Ich lebte weit entfernt an einem Ort, wo es der heißeste Tag jenes Sommers war. Es war so heiß, dass der Asphalt auf den Brücken schmolz und mein Schuh darin stecken blieb.
Ich werde einen vollkommen schwarzen Rahmen um die Wand malen, dann sieht es aus wie eine Leinwand mit Vorhang, erklärte Attila mit ausgebreiteten
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