Band 1 - Blutspur
Ich hatte es ursprünglich gekauft, um Amulette zur Lügenerkennung daraus zu machen, war aber irgendwie nie dazu gekommen. Es war einfacher, sie zu kauten. Ich griff nach der Telefonliste, auf der meine Kontakte aus den letzten Jahren standen. Mit einem schnel en Blick stel te ich sicher, dass mich niemand beobachtete, und schob die Liste hinter die Schale in den Karton. Zur Sicherheit legte ich meinen Discman und die Kopfhörer oben drauf.
Die wenigen Referenzbücher musste ich noch Joyce zurückgeben, die auf der anderen Seite des Ganges saß, aber das Salzfass, das sie stützte, hatte meinem Dad gehört. Ich packte es in die Kiste und dachte darüber nach, was er wohl zu meiner Kündigung sagen würde.
»Er würde sich freuen wie ein Schneekönig«, flüsterte ich, noch immer verbissen gegen meinen Kater ankämpfend.
Ich richtete mich auf und schaute über die vergilbten Abtrennungswände. Frustriert musste ich feststel en, dass die Kol egen meinem Blick auswichen. Sie standen in Gruppen zusammen, tratschten und taten dabei so, als würden sie arbeiten. Ihr gedämpftes Flüstern machte mich aggressiv. Ich holte tief Luft und nahm das Bild von Watson, Crick und Rosalind Franklin in die Hand, der Frau, die hinter al dem steckte. Sie standen vor ihrem Model der DNS und Rosalinds Lächeln zeigte die gleiche geheimnisvol e Belustigung wie das der Mona Lisa. Fast konnte man meinen, sie wusste, was geschehen würde. Mir schoss, wie schon vielen vor mir, die Frage durch den Kopf, ob sie wohl ein Inderlander gewesen war. Ich behielt das Bild, um mich daran zu erinnern, wie sich die Welt aufgrund winziger Kleinigkeiten verändern kann, die andere einfach übersehen.
Es war jetzt fast 40 Jahre her, dass ein Viertel der Menschheit einem mutierten Virus zum Opfer gefal en war -
dem T4 Angel. Und auch wenn die Fernsehprediger regelmäßig das Gegenteil behaupteten, war es nicht unsere Schuld gewesen. Es begann und endete mit der althergebrachten Paranoia der Menschen. In den fünfziger Jahren hatten Watson, Crick und Franklin ihre Köpfe zusammengesteckt und die Geheimnisse der DNS in sechs Monaten entschlüsselt. Möglicherweise wäre al es gestoppt worden, aber die damalige Sowjetunion schnappte sich die Technologie. Angestachelt von der Angst vor einem Krieg wurde viel Geld in Forschung und Entwicklung gesteckt: Anfang der Sechziger hatten wir künstliches Insulin, das aus Bakterien gewonnen wurde. Es folgte eine Vielzahl biotechnisch hergestel ter Pharmazeutika, und der US-Markt wurde mit diversen Ablegern aus der geheimen Entwicklung biologischer Kampfstoffe überschwemmt. Wir haben es nie zu einer Mondlandung gebracht, da wir die Wissenschaft nicht nach außen, sondern nach innen richteten, um uns so letztendlich selbst zu töten.
Und dann, gegen Ende des Jahrzehnts, machte jemand einen Fehler. Es ist immer noch ungeklärt, ob es nun die Sowjets oder die USA waren. Irgendwo in den Laboren der eisigen Antarktis wurde ein tödlicher DNS-Strang freigesetzt.
Er hinterließ eine unauffäl ige Spur von Todesfäl en bis nach Rio, die man identifizierte und registrierte, bevor ein Großteil der Öffentlichkeit überhaupt davon erfuhr. Aber noch während die Wissenschaftler ihre Abschlussberichte verfassten und zu den Akten legten, mutierte das Virus weiter.
Es gelangte durch einen kleinen, aufgrund seiner geringen Größe von den Forschern vernachlässigten Schwachpunkt in die DNS einer genetisch veränderten Tomate. Der offiziel e Name der Tomate war nach ihrer Laborkennung T4 Angel, weshalb das Virus bald einfach Angel genannt wurde.
Da niemand wusste, dass das Virus die Tomate als Zwischenwirt benutzte, wurden die Früchte per Luftfracht in die ganze Welt verschickt. Sechzehn Stunden danach war es zu spät. Die Bevölkerung der Dritte-Welt-Länder wurde In dem erschreckenden Zeitraum von nur drei Wochen dezimiert. In den USA dauerte es vier Wochen. Mithilfe des Militärs wurden die Grenzen abgeriegelt und die Regierung etablierte eine Politik des tatenlosen Mitleids. Die Vereinigten Staaten erlitten eine schwere Krise und auch hier starben die Menschen, aber verglichen mit dem Rest der Welt, der zu einem Massengrab wurde, war die Situation immer noch erträglich.
Aber der Hauptgrund für die Aufrechterhaltung der Zivilisation lag darin, dass die meisten Spezies der Inderlander gegen das Angel Virus immun waren. Hexen, die Untoten und die kleineren Lebensformen wie Gnome, Pixies und Fairies blieben vol kommen
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