Band 1 - Blutspur
jetzt würdevol und betörend schön. Mit der Pappschachtel in der Hand verschwand sie im Flur.
Die plötzliche Stil e dröhnte in meinen Ohren. Fassungslos starrte ich auf ihren leeren Stuhl. Sie war gegangen. Wie konnte sie einfach gehen? Wir waren doch mitten im Gesprach! Die Unterhaltung war viel zu interessant gewesen, um sie fal en zu lassen. Ich rutschte vom Tisch und folgte ihr mit meinem Essen ins Wohnzimmer.
Sie hatte sich in einen der grauen Sessel fal en lassen und lag ausgestreckt da, den Kopf auf eine der breiten Armlehnen gelegt, die Füße über die andere. Sie wirkte vol kommen unbekümmert. Ich stand zögernd im Türrahmen, verstört von dem Bild, das sie abgab. Wie eine Löwin in ihrer Höhle, gesättigt nach der Jagd. Klar, dachte ich, sie ist ein Vampir. Was hatte ich erwartet, wie sol te sie sonst aussehen?
Ich erinnerte mich selbst daran, dass sie kein praktizierender Vamp war und dass ich somit auch nichts zu befürchten hatte. Vorsichtig setzte ich mich in den zweiten Sessel, sodass wir den Kaffeetisch zwischen uns hatten. Nur eine der Tischlampen war eingeschaltet und ein Großteil des Raumes verlor sich in Dunkelheit, die nur stel enweise von den glühenden Lämpchen der elektronischen Geräte durchbrochen wurde. »Dann kam also die Idee, bei der I. S.
einzusteigen, von deinem Dad?«
Ivy hatte die kleine Imbissschachtel auf ihrem Bauch abgestel t, starrte an die Decke und kaute gleichgültig auf einer Bambussprosse herum. »Es war ursprünglich die Idee meiner Mutter. Sie wol te, dass ich ins Management gehe. Ich sol te schön außerhalb der Gefahrenzone bleiben. Sie meinte außerdem, es wäre gut für meine sozialen Umgangsformen.«
Sie zuckte die Achseln. »Ich wol te ein Runner sein.«
Ich streifte die Hausschuhe ab und zog die Füße auf den Sitz. Während ich es mir so bequem machte, warf ich Ivy einen kurzen Blick zu, die gerade ihre Stäbchen langsam aus dem Mund gleiten ließ. Ein Großteil des höheren Managements der LS. bestand aus Untoten. Ich hatte den Grund dafür immer darin vermutet, dass der Job ohne eine Seele wahrscheinlich einfacher war.
»Sie konnte mich nicht davon abhalten«, fuhr Ivy fort, ihren Blick immer noch an die Decke gerichtet. »Und um mich dafür zu bestrafen, dass ich getan hatte, was ich wol te, und nicht, was sie wol te, hat sie dafür gesorgt, dass Denon mein Boss wurde.« Sie kicherte. »Sie dachte, dass er mich so auf die Palme bringen würde, dass ich bei der nächstbesten Gelegenheit ins Management wechsle. Dabei ist ihr nie der Gedanke gekommen, dass ich mich mit meinem Erbe aus dem Vertrag rauskaufen könnte. Zumindest das habe ich ihr gezeigt.«
Ich wühlte mich an einem Maiskölbchen vorbei, um an ein Stück Tomate zu gelangen. »Du hast dein ganzes Geld weggeworfen, nur weil du deinen Boss nicht magst? Ich kann ihn auch nicht ab, aber. .«
Wutentbrannt setzt Ivy sich auf. Die Intensität ihres Blickes ließ mich erstarren und mir blieben die Worte im Hals stecken, als ich den Hass in ihren Augen sah. »Denon ist ein Ghoul.« Ihre Stimme vertrieb die Wärme aus dem Raum.
»Wenn ich seine kleinliche Kritik noch einen Tag länger hätte ertragen müssen, hätte ich ihm die Kehle herausgerissen.«
Ich zögerte verwirrt. »Ein Ghoul? Ich dachte, er sei ein Vamp.«
»Ist er auch.« Als ich nichts sagte, schwang Ivy die Stiefel über die Lehne und setzte sich richtig hin, um mich besser ansehen zu können. »Schau mal.« Sie klang leicht beunruhigt. »Dir muss doch aufgefal en sein, dass Denon nicht wie ein Vamp aussieht: Er hat menschliche Zähne, er kann in der Mittagszeit keinen Bann wirken und seine Bewegungen sind so laut, dass man sie meilenweit hören kann, oder nicht?«
»Ich bin nicht blind, Ivy!«
Die durch das Fenster kommende Nachtluft war ziemlich kühl für späten Frühling und ich zog den Bademantel enger um die Schultern.
»Denon ist von einem Untoten gebissen worden, also trägt er das Vampir-Virus in sich. Deswegen beherrscht er ein paar Tricks und sieht gut aus. Und ich kann mir gut vorstel en, dass er verdammt angsteinflößend sein kann, wenn man sich von ihm einschüchtern lässt. Aber er ist ein Speichel ecker, Rachel, jemandes Lakai. Er ist ein Spielzeug und wird es immer bleiben.«
Ivy stel te die Schachtel mit ihrem Essen auf den Kaffeetisch zwischen uns und rutschte vor bis zum Rand ihres Sessels. »Selbst wenn er irgendwann stirbt und sich jemand dazu herablässt, ihn in einen Untoten zu verwandeln, wird
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