Bangkok Tattoo
zumindest nicht gespürt, wie sie ihm die Eingeweide rausfressen. Ich wäre bei jemandem, der mich wirklich ärgert, wahrscheinlich nicht so nachsichtig. Verstehen Sie, was ich meine?« Er schnippt einmal mit den Fingern. Das Geräusch laufender Füße in Stiefeln ist zu hören; aus den Schatten taucht mehr als ein Dutzend junger Männer mit Sweatshirts und Militärhaarschnitt auf. Sie stellen sich in Formation hinter ihm auf. Als er zweien zunickt, gehen sie zu Chaz hinüber und richten den Strahl einer Taschenlampe auf seinen Bauch, der mittlerweile völlig von dem weißen Gewürm zerfressen ist. Der General gesellt sich zu ihnen, zieht einen Aal aus Chaz’ Eingeweiden, befördert ihn gekonnt ins Jenseits, indem er seinen Kopf gegen einen Poller knallt, und kehrt dann zu mir zurück.
Während er mir den toten Aal in die Tasche schiebt, flüstert er mir zu: »Sagen Sie Colonel Vikorn, daß er zu weit gegangen ist. Er hat mir eine Falle gestellt, ich bin freigesprochen worden, jetzt gehört der Stoff mir. Eine zweite Chance bekommt er nicht. Ich mache ihn fertig, egal, wie.«
Mit einem verächtlichen Blick in Richtung Lek: »Und euren kleinen Stricher hole ich mir auch.«
Er und seine Männer lassen uns in der Dunkelheit des Hafens mit einer Leiche voll hungriger Aale zurück. Als ahnte sie, daß die Luft rein ist, kreischt die junge Frau auf dem Schiff wieder und lacht mit einer Professionalität, die darauf abzielt, dem Seemann das Gefühl zu geben, er sei stark, charmant und unwiderstehlich. Offenbar ist so etwas wie eine Party im Gange, denn jetzt kichern noch mehr Mädchen und reißen schmutzige Witze auf thai, während die Männer auf chinesisch antworten. Kurz sind drei Frauengesichter zu sehen.
Urplötzlich herrscht Stille, in der nur das Trippeln einer großen Ratte zu hören ist. In der Ferne überquert jemand den Fluß auf einem Longtail-Boot. Ich beschließe, den Mann, den ich vor kurzem vernommen habe, vor weiteren forensischen Demütigungen zu bewahren, aber das gestaltet sich gar nicht so einfach. Wie alle Leichen wiegt er schwer und ist sperrig. Ich packe ihn an den Handgelenken, gebe Lek ein Zeichen, daß er mir helfen soll, zerre ihn an den Rand der Kaimauer, drehe ihn um und versuche, ihn ins Wasser zu stoßen. Lek beugt sich aus der Hüfte heraus über ihn und vermeidet jeden Körperkontakt mit Buckles Füßen. Ich schwitze in der Hitze der Nacht, nicht zuletzt meines Ekels vor den Aalen wegen, die sich immer noch an den Eingeweiden der Leiche gütlich tun. Einen Fuß auf Chaz’ Schulter gesetzt, schiebe ich mit aller Kraft. Mit ausgestreckten Armen gleitet er über die Kante und landet mit einem leisen Platschen im Fluß.
Als letztes verschwinden die tätowierten Schriftzüge »Mutter« und »Denise«.
Ich hole Zinnas Aal aus meiner Tasche und schleudere ihn ihm nach. Wo steckt Lek? Panik erfaßt mich (vielleicht haben Zinnas Männer ihn verschleppt und vergewaltigen ihn), doch da entdecke ich ihn ein Stück entfernt in einem Lichtkegel.
Der älteste unserer klassischen Tänze hat sich aus dem Hindu- Ramayana entwickelt, in dem der Gott Vischnu als Rama wiedergeboren wird und im Kampf gegen das Böse seine Frau Sita vor dem Tod bewahrt. Lek spielt gerade Sita, die ihren Herrn und Meister kniend von ihrer ewigen Treue überzeugt.
Ich lege den Arm um ihn und führe ihn weg. »Er hat mich einen Stricher genannt.«
»Mach dir darüber mal keine Gedanken.«
»Ich bin kein Stricher, sondern Tänzer.«
»Das weiß ich.«
Mit seinen haselnußbraunen Augen sieht er mich voll erbarmunglosem Vertrauen, voll Liebe und Erwartung an.
Als wir die Stelle passieren, an der ich Buckle in den Fluß geschoben habe, hören wir, wie das Wasser von Aalen und anderen Fischen aufgewühlt wird, die sich gerade unseren T808 einverleiben. Einen verführerischen Moment lang sehe ich Chaz’ Leben in seine zahlreichen Komponenten zerfallen, die sich voneinander verabschieden und in die Nacht verflüchtigen. Das komplexe Problem namens Chaz Buckle ist gelöst.
24
Offenbar lösen sich in dieser Nacht der Gewalt noch andere Komplexitäten in Staub und Geist auf. Kurz nachdem ich Lek vor seiner Wohnanlage abgesetzt habe, klingelt mein Handy. Es ist Lieutenant Manhatsirikit.
»Der Colonel ist im Haus von Khun Mu. Fahren Sie sofort hin.«
Du wirst es schon erraten haben, farang : Auf Khun Mus Anwesen sind alle Hunde und Affen tot (ausgeweidet) und die Wachleute exekutiert, zum größten Teil durch Kugeln in den
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