Bangkok Tattoo
weiter und so fort. Es gibt ein paar Wellblechhütten aus der kreativen Architekturschule, verbunden durch geheime Fußwege, die geradezu nach Verfolgungsjagden schreien, doch bei den meisten den Platz umgebenden Gebäuden handelt es sich um Geschäftshäuser chinesischer Tradition. Die Gehsteige liefern gute Hinweise auf den Zweck der Läden: Ganze ölverschmierte Automotoren lagern neben Teilen von Klimaanlagen, und CD-Raubkopien an Ständen sowie riesige Lautsprecher blockieren das Trottoir vor den Elektrogeschäften. Hier trifft man keine farangs (sie kennen das Viertel entweder nicht oder bleiben ihm bewußt fern). Diese sich träge dahinschiebenden braunen Massen sind so landestypisch wie somtam- Salat oder Reis. Im Klong-Toey-District liegt der Haupthafen des Chao-Phraya-Flußes, wo Schiffe seit Anbeginn der Zeiten ihre Fracht löschen. (Auf Sepiabildern entladen unsere Vorfahren in traditionellen schwarzen Dreiviertelhosen, die Oberkörper nackt, die langen schwarzen Haare zum Pferdeschwanz zurückgebunden, in flirrender Hitze Waren, viele ausgezehrt von deinem Opium, farang.) Ein paar Straßen weiter: ein schönes großes Zollhäuschen sowie der Gebäudekomplex der Hafenverwaltung. Der Fluß ist kaum einen Steinwurf entfernt, und manche der Ureinwohner dieser Siedlung haben Pfahlhütten auf der anderen Seite des Wassers errichtet. Mittelalterlich anmutende Bootsleute bringen die Armen für zwanzig Baht pro Fahrt in ihren bescheidenen, selbstgebauten Kanus (mit Yamaha-Außenbordmotor und gigantischer Bugwelle) von einem Ufer ans andere. Kurz: Jeder weiß, daß der Hauptumsatz hier mit Drogen gemacht wird, denn in Thailand existiert vermutlich kein zweiter Ort, an dem auf so kleinem Raum direkt am geschäftsförderlichen Fluß so viele Dealer, Helfer, Junkies, Polizisten und Zollbeamte zusammengedrängt sind. Zwangsläufig haben sich Gewerbe wie das der Kredithaie oder der Wucherer hier angesiedelt. Es überrascht mich, daß Colonel Bumgrad sich mit einem einfachen Trance 808 abgibt. Ich hatte Aggression seinerseits befürchtet, weil er zu Vikorns vielen Feinden zählt, aber er ist der Charme in Person, als er mich und Lek begrüßt.
Chaz Buckley ruht unter einer Decke auf dem Kai. Das Polizeiboot ist an einem Poller zwischen zwei riesigen Containerschiffen festgemacht, so daß die Aussicht in alle Richtungen durch rostige Bootsrümpfe und metallene Landungsstege verstellt wird und die ohnehin schon schlecht erleuchteten Fußwege vollends im Dunkeln liegen. Bumgrad nickt mir zu, und ich hebe die Decke: ein einziger Schuß in den Hinterkopf; die Kugel trat vorn durchs linke Auge wieder aus. Die Leiche ist durchnäßt, aber es steht fest, daß der Mord noch nicht lange her sein kann. Selbst wenn sich das Gesicht nicht erkennen ließe: Die Tätowierungen wären Identifizierungshilfe genug.
»Wir haben noch nicht in seine Taschen geschaut«, murmelt Bumgrad. »Das wollten wir Ihnen überlassen.«
Ich beuge mich über Buckle und mache einen Satz rückwärts, als ein kleiner blinder Aal sich aus seinem Mund schlängelt. Auch seine Taschen sind in Bewegung. Lek schlägt die Hand vors Gesicht. Als ich Buckles Hemd aufreiße, sehe ich, daß sein Bauch ebenfalls auf und ab wallt. Mit einem leisen Popp bricht ein weißer Kopf mit einem Maul voll winziger Zähne durch seinen Nabel. Ich drehe mich um – soll das ein Scherz sein? –, doch Bumgrad und seine Männer sind im dunklen Labyrinth des Hafens verschwunden. Lek unterdrückt einen Aufschrei und springt einen Schritt zurück. Aale winden sich aus der Leiche, suchen verzweifelt einen Weg zum Fluß. Ich weiche ebenfalls zurück.
Da erklingt der Ruf einer Nutte aus dem Bug eines Containerschiffs – Seeleute bilden ein spezielles Marktsegment, von dem meine Mutter und ich die Finger lassen –, dann herrscht, bis auf das Klacken stahlkappenverstärkter Absätze, Stille. Ein kleingewachsener stämmiger Uniformierter mit kerzengeradem Rücken und breiter Brust taucht aus dem Dunkel auf und marschiert auf uns zu. Im Lichtkegel einer kleinen Lampe an einem Schiffskabel bleibt er stehen. Ich richte mich auf, lege die Handflächen zu einem wai aneinander und hebe sie an die Lippen. »Guten Abend, General Zinna«, sage ich, den wai- Gruß beibehaltend.
Der General kommt wortlos auf mich zu und mustert die Leiche. »Da hat jemand Mitgefühl bewiesen«, sagt er mit leiser Baritonstimme. »Er war schon tot, als sie ihm die Aale in den Arsch gesteckt haben, da hat er
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