Bank, Zsuzsa
sie ihrem Kopf gerade, schnell
noch etwas anderes zu denken, bevor sie sich aufmachte, zu Évis Küche mit der
niedrigen schiefen Decke, unter der sich im Sommer mit der Weberknechtplage
die klebrigen Streifen in ihrem Haar verfangen hatten und das sie seither
lieber kurz getragen hatte. Aja wollte ohne mich weitergehen, sie sagte, die
letzten Schritte brauche sie, um in ihrem Kopf ein wenig aufzuräumen, als könne
sie jetzt noch ordnen, was durcheinandergekommen war, als könne sie auf dem
letzten Stück zu Évis Haus schon anfangen aufzuräumen und den Rest für später,
für einen anderen Tag aufheben. Wir umarmten uns, als hätten wir uns an diesem
Vormittag, auf dieser Brücke, die Kirchblüt von den Feldern und dem Friedhof
trennte, nach langer Zeit wiedergefunden , und bevor ich mich aufmachte, um
über den großen Platz zu gehen und den Bus zur Spedition zu nehmen, weil ich
müde war und nicht mehr laufen wollte, schaute ich Aja nach. Ich musste mich
zwingen, ihr nicht nachzueilen, nichts nachzurufen, über den schmalen Weg an
den Weizenfeldern, wo Zigi ihr das Fahrradfahren beigebracht hatte. An der
Abzweigung zum Bahnwärterhäuschen blieb sie stehen, und es sah aus, als habe
sie der Mut plötzlich verlassen, als wolle sie lieber umkehren, aber dann ging
sie schneller als zuvor, durch den kühlen Sommerwind, der an ihrem Haar zupfte
und ihren hellgrünen Mantel aufblies, als wolle er sie zurückhalten.
Später sagte mir Aja, Évi habe auf
sie gewartet, an jedem Tag, seit Zigis Telegramm sie erreicht hatte, hatte sie
auf Aja gewartet. Sie hatte im Garten gesessen und gewusst, Aja würde an der
Brücke über den Klatschmohn auftauchen und den Feldweg hinabgehen, sie würde
ihre Reisetasche fallen lassen, das schiefhängende Tor öffnen, und Évi würde
sich wünschen, es wäre anders gekommen, Zigi hätte einmal den Mut aufgebracht,
Aja alles zu erzählen, er hätte seine Zeit nicht mit Sprüngen und Drehungen vergeudet,
er hätte Aja weniger Kunststücke auf dem Fahrrad, auf dem Seil, auf dem Eis
gezeigt und dafür einmal mit ihr gesprochen. Évi hatte unter den Lichtkegeln
ihrer kleinen Lampen unzählige Male durchgespielt, was sie Aja würde sagen
können, und zum ersten Mal hatte sie Angst vor Aja gehabt, Angst davor, sie
könne sich abwenden und käme nur noch, um es ihr zu sagen. Während Aja in Rom
durch die Straßen gelaufen war und unter ihren liebsten Madonnen Schutz
gesucht hatte, während sie Blut über die Fassaden hatte rinnen sehen, aufs
Pflaster hinab zum Fluss, während sie neben mir im Zug gesessen hatte, der uns
langsam aus dem Drahtgewirr von Termini gefahren hatte, war Évi durch ihren
Garten gelaufen, an den Feldrainen zu den Schranken des Bahnwärterhäuschens,
weil sie nicht mehr hatte ruhig sitzen können in diesen Tagen.
Sie hatte Zigi verflucht, weil sie
sich zurückgenommen hatte, sobald er am schiefhängenden Tor aufgetaucht war und
in so vielen Jahren trotzdem nie den Augenblick gefunden hatte, mit dem
Erzählen anzufangen. Sie hatte am Küchentisch, in ihrer schiefen, angestrengten
Schrift böse Briefe an ihn geschrieben, weil er auch diesmal zu weit entfernt
war und alles bei ihr selbst lag, aber keinen davon abgeschickt. Den Namen
Libelle hatte sie dabei vermieden, weil sie glaubte, es sei nicht Libelles,
sondern allein Zigis Schuld, dass geschehen war, vor was sie sich immer gefürchtet
hatte. Ein Vierteljahrhundert lang hatte Évi diese Ahnung gehabt, sie hatte
gewusst, dieser Tag würde kommen, auch wenn sie sich die Begegnung zwischen
Zigi und Libelle anders ausgemalt hatte. Die Stunde hatte in ihr geschlummert
und sich nachts in ihren Traum geschlichen, wenn sie die Augen geschlossen und
unter ihren vielen Lampen in den Schlaf gefunden hatte. An ihrem letzten Abend
in Rom, als meine Mutter uns zum Essen ausgeführt hatte, hatte Évi sagen
wollen, dein Vater hat Libelle getroffen, sie wird dir schreiben, sie wird dir
etwas schicken, fass es nicht an, wirf das Päckchen weg, lass es Seri oder
Karl für dich tun. Aber dann hatte sie den Mut nicht aufgebracht, auch weil sie
noch immer glaubte, ihr stünde nicht zu, Aja überhaupt von Libelle zu erzählen,
Zigi müsse es tun. Am Strand von Ostia waren meine Mutter und Ellen über Nacht
geblieben, weil Évi sie in Kirchblüt schon zu sich gebeten hatte, um ihnen
alles zu erzählen, und weil sie Évi in diesen Tagen jeden Wunsch erfüllt
hätten. Sie hatten Évi beschworen, es nicht Zigi zu überlassen, nicht zu
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