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Bank, Zsuzsa

Bank, Zsuzsa

Titel: Bank, Zsuzsa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die hellen Tage
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warten,
bis er es Aja sagen würde, und sie hatten in Rom dafür gesorgt, dass Évi oft
genug mit Aja allein sein konnte, und als sie abreisten und gewusst hatten, Évi
hatte Aja nichts sagen können, hatten sie ihr keine Vorwürfe gemacht. Évis alte
Angst, Zigi könne Aja eines Tages mitnehmen, war von der Angst abgelöst
geworden, Aja würde sich abwenden von ihr, sobald sie die Wahrheit kannte,
sobald sie wüsste, wie vor Jahren alles begonnen hatte, sobald sie wüsste, dass
Zigi und Évi sich einmal aus den Augen verloren und Zigis Wege Libelles Wege
gekreuzt hatten.
    In der Nacht rollte Aja unser Tor
zur Seite, und weil sie es zum ersten Mal nicht lautlos tat, wurden meine
Mutter und ich wach davon, zogen die Morgenmäntel über, stiegen die Treppen
hinab und hörten Aja schon an die Tür hämmern. Als ich öffnete, sah ich hinter
ihr Évi, ein wenig als sei sie geschrumpft, als hätten sich ihr Kopf und ihre
Schultern gesenkt, als habe ihr jeder Satz, zu dem sie sich hatte überwinden
müssen, ein Gewicht aufgelegt. Aja sagte, sie brauchten den Wagen, meine Mutter
müsse sie fahren, und Évi würde ihr sagen, welchen Weg sie nehmen müsse. Wir
hörten schon an ihrem Ton, es konnte nicht bis zum Morgen warten, es musste
jetzt sein, mitten in dieser Juninacht, in der sich ein spitzer Sichelmond
hinter den Bäumen versteckte, als wolle er nichts mit uns zu tun haben. Aja
blieb im Türrahmen stehen, sie ließ uns kaum Zeit, uns anzuziehen und den
Wagen aus der Garage zu holen, und dann fuhren wir, Aja auf dem Vordersitz, Évi
neben mir auf der Rückbank, ein bisschen wie eine Diebin, die abgeführt und
weggebracht wurde.
    Wir ließen die Wälder und Hügel am
Neckar hinter uns, fuhren über leere, nachtdunkle Straßen, und während sich
Wolken vor die Sterne schoben, gelangten wir weiter nach Westen, wo das Land
bald flacher wurde. Wir mussten nicht gegen den Schlaf kämpfen, keine von uns
musste es, alle Schläfrigkeit war dahin gewesen, als wir Ajas Schläge gehört,
als wir die Tür geöffnet und ihr Gesicht gesehen hatten. Meine Mutter schien
ängstlich, wohin Aja uns bringen und was uns dort erwarten würde, schon weil
sie aussah, als könne sie ihr altes Gift versprühen, sollte einer von uns etwas
Falsches sagen, sollte einer von uns vorschlagen, die Reise durch die Nacht
abzubrechen. Mir fiel der Zettel ein, den Libelle zu der Filmrolle gelegt hatte,
dass sie geschrieben hatte: Zigi und deine Mutter, und nicht: dein Vater und Évi,
was doch richtig gewesen wäre. Noch immer tanzte Libelle ohne Schuhe, auf ihren
schmalen Füßen über unsere Köpfe, die Arme weit ausgebreitet sprang sie mit
ihren flinken Schritten über die Sitze unseres Wagens, hielt sich fest an den
Gurten und dem Rückspiegel, über den meine Mutter versuchte, Évis Blick zu
treffen. Libelle schob sich dazwischen, lehnte sich so weit zurück, bis ihr
Scheitel an die Waden stieß und ihre Finger die Knöchel fassten, jagte noch
einmal springend und radschlagend über das Lenkrad, um hineinzugreifen und die
Richtung zu bestimmen, die wir zu nehmen hatten.
    Vielleicht gehörte es zu den
Aufgaben meiner Mutter, Aja von Évi fernzuhalten, wenn es sein musste,
vielleicht musste sich hier der Kreis zum Waldsee schließen, vielleicht stand
alles in einer Linie, vielleicht hatte damals etwas begonnen, was jetzt zu
beenden war. Meine Mutter redete auf Aja ein, mit ihrer bestimmten Art, der
man nicht widersprechen und nichts entgegnen konnte, sie fragte, ob Aja ihr
nicht wenigstens sagen wolle, wohin wir fuhren, aber diesmal schüttelte Aja den
Kopf und sagte, du wirst es schon sehen, Maria, du wirst es noch früh genug
sehen. Évi wies meiner Mutter den Weg, den sie in vielen Jahren nicht vergessen
hatte, sie wusste noch, in welche Straße wir einbiegen mussten und wie die
Orte hießen, durch die wir zu fahren hatten, im hellen Wagen meiner Mutter,
dessen Farbe die Dunkelheit schluckte, vier Frauen in Sommermänteln, die in
dieser Juninacht nicht in ihren Betten liegen konnten. Als es zu dämmern
begann, fuhren wir über die Gleise eines Bahnhofs, über eine Schotterpiste, und
Évi klopfte leise ans Fenster, so leise, wie ich in Rom an die Tür der
Telefonkabine geklopft hatte, als wolle sie meiner Mutter ein Zeichen geben,
hier ist es, gleich sind wir da. Ich wunderte mich, dass sie den Weg so schnell
hatte finden können, dass wir uns nicht einmal verfahren hatten und nicht
einmal hatten wenden müssen, obwohl sich doch vieles verändert haben

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