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Bank, Zsuzsa

Bank, Zsuzsa

Titel: Bank, Zsuzsa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die hellen Tage
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aufgesetzt,
die Beine hochgerissen und zum ersten Mal ein Rad geschlagen hatte. Sie würde
anfangen, das Laub im Herbst nicht mehr auf einen Haufen zu kehren und unter
dem Novemberhimmel zu verbrennen, sie würde die Gummistiefel nicht mehr
anziehen, wenn es über Tage geregnet hatte und die Wege im Schlamm versanken.
Sie würde vergessen, den Herd auszuschalten, das Wasser abzudrehen, und Zigi
würde es für sie tun. Irgendwann würde sie vielleicht nicht mehr wissen, wohin
der Feldweg, wohin die Brücke über den Klatschmohn führte und dass sie das
schiefhängende Tor anheben musste, wenn sie es öffnen wollte, damit es nicht
auf dem Boden schleifte. Aja hatte es so ausgemalt, und Ellen hatte sofort
angefangen, das Leben zu verfluchen, aus dem sich ausgerechnet Évi so
verabschieden musste, die ihre schnellen Schritte immer leichter als alle anderen
auf das Pflaster des großen Platzes gesetzt hatte, ausgerechnet sie musste sich
so davon verabschieden. Es sei ein Unsinn, hatte Ellen geschimpft, Évi dem
Leben zu entziehen, das sie besser zu leben wisse als wir alle zusammen, und
ob Évis Götter, und sie sagte noch immer Götter, obwohl Évi ihr schon oft genug
erklärt hatte, sie glaube nur an einen Gott, ob Évis Götter da nicht etwas
verwechselt hätten. Ellen und meine Mutter hatten Évi nie Vorwürfe gemacht, als
Aja Rom verlassen hatte, um Libelle zu sehen. Sie hätten gewusst, sagten sie, Évi
sei jede Nacht vor ihrem Zaun den Weg auf und ab gelaufen, bis der Himmel sein
erstes Licht auf die abgeernteten Felder geworfen habe, weil die Angst sie aus
dem Bett gejagt habe, Aja könne etwas zustoßen. Ihnen war gleich, wer Aja neun
Monate unter dem Bauchnabel getragen und zur Welt gebracht hatte, so
jedenfalls sagte es Ellen. Sie hatten Évi schnell verziehen, dass die Wahrheit
so spät ans Licht gekommen war, weil sie Évi jederzeit alles verziehen hätten,
Ellen, weil Évi sie ins Leben zurückgelotst hatte, und meine Mutter, weil sie
an niemandem so hing wie an Évi und Aja.
    Ich begriff langsam, es war nie
der Tod, auf den sich Aja hatte vorbereiten wollen, es war etwas anderes
gewesen, in ungezählten Nächten in Krankenhäusern, in denen sie noch nicht
gewusst hatte, dass Évi einmal einen Nutzen davon haben würde. Über Jahre
hatte Aja ihr Beileid in erfundenen Telegrammen ausgedrückt, und wenn das
Vergessen auch eine Art zu sterben war, hatte Aja die Telegramme an unserem
Küchentisch in Rom an sich selbst geschrieben. Sie hatte geglaubt, wie ein
Spaziergänger laufe der Tod neben ihr her, und alles, was sie zu tun habe,
sei, darauf zu achten, dass er sie nicht überholte. Jetzt hatte er einen Vorboten
geschickt, Aja hatte nicht aufgepasst, sie hatte die Tür geöffnet und ihn
hereingelassen, und obwohl sie ihn nicht eingeladen hatte, hatte er an Évis
schiefem Küchentisch unter der Leiste mit den Bestellzetteln einfach Platz
genommen. Manchmal war ich nicht sicher, ob Évi sich nur verstellte, wenn sie
sagte, zu viele Vögel flögen in ihren Birnbaum, flatterten auf und
erschreckten sie, ständig zitterten seine Zweige. Dann klang es, als treibe sie
einen Scherz mit mir, über den sie gleich selbst würde lachen müssen. Vielleicht
war sie müde geworden, von den vielen Tagen, die sie in Kirchblüt verbracht
hatte, mit dem sie verwachsen schien wie sonst keiner von uns. Vielleicht war
sie ja davon müde geworden, mit Kirchblüt so zu verwachsen, im Takt seiner
Glockenschläge über das Kopfsteinpflaster des großen Platzes und den Feldweg
zu laufen, wo sie mit jedem Schritt abzählen konnte, wie weit entfernt von den
letzten Häusern sie wohnte, wie weit von den schmalen Straßen, in denen Karls
Vater ihren Kuchen ausfuhr, wie weit weg vom dichten Blätterdach der Platanen,
das im Sommer den Regen auffing, wie weit von den Fotos, die sie hinter einem
dicken Vorhang ordnete, und dem, was auf ihnen zu sehen war.
    Nicht lange nachdem sie im
Fotoladen aufgehört hatte, bat sie mich, Fallen vor ihrem Haus aufzustellen,
und zum ersten Mal hörte es sich anders an. Sie sagte, Zigi könne sie nicht
darum bitten, und als ich fragte, Fallen für was, flüsterte sie, für die großen
Tiere, nicht für die kleinen, die kleinen sollten ruhig laufen. Ich schrieb
Karl, er solle nach Kirchblüt kommen und genügend Kleider einpacken, damit er
eine Weile würde bleiben können, und ließ den Brief enden mit: Bleib fern von
offenen Fenstern, auch wenn es leer klang, als seien alle Warnungen immer
umsonst

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