Bank, Zsuzsa
weiten Platz
war er so abgelaufen, hatte nach rechts und links in die Luft gezeigt, als
stünden die Wagen noch, als seien die Pflöcke des Zelts noch in den Boden
geschlagen. Ihm war eingefallen, dass Évi in der letzten Vorstellung
Rosenblätter und Fetzen aus Stanniol hinabgeworfen hatte, es hatte ausgesehen,
als regne es Blut und Silber von der Kuppel. Später hatte sie eine Handvoll
aufgesammelt und in ein Säckchen getan, das sie mahnen sollte, sich nie mehr an
einem Seil hochziehen zu lassen und kopfüber hinunterzuspringen. Es sollte
vorbei sein, bald nachdem Évi Aja zum ersten Mal angeschaut hatte, sollte es
vorbei sein. Sie würde sich nicht mehr aus dieser Höhe hinabstürzen, sie würde
auf sich aufpassen, genauso wie sie auf Aja fortan aufpassen würde.
Mütter
Es war still geworden in
Kirchblüt. Etwas hatte sich auf seine Dächer gelegt, auf unsere Wege und
Schritte, selbst auf das Glöckchen des Fotoladens und die Schläge der Turmuhr.
Unsere lauten schrillen Stimmen, die wir fürs Streiten gebraucht hatten, waren
verstummt, etwas lag hinter uns und scheuchte uns nicht mehr auf. Der Winter
war vergangen, in dem Aja gesagt hatte, Zigi solle den Rollkragenpullover
ausziehen und die Haare hochhalten, weil wir die Libelle unter seinem Nacken
sehen wollten. Zigi hatte ihn ausgezogen und über die Stuhllehne geworfen,
sich zum schiefen Küchenschrank gedreht und uns Rücken und Schultern gezeigt,
denen wir im Licht des kleinen Fensters ansehen konnten, dass Zigi nie etwas
anderes getan hatte, als an einem Trapez zu schwingen.
Aja und ich verbrachten wie früher
die Abende bei Évi, und es war, als habe uns das Leben einen Aufschub gewährt,
als habe es uns eine Pause geschenkt und belohnt für etwas, das wir ausgehalten
und ertragen hatten. An einem solchen Abend im März, wie es ihn nur in
Kirchblüt gibt, wenn der Winter über Nacht sein letztes Eis schicken wird, dem
eine schwache Sonne über Wochen nichts wird anhaben können, strich meine
Mutter die Italienroute der Spedition und gab die Geschäftsbeziehungen in den
Süden auf. Sie dachte nicht mehr an das Licht im Pantheon, das durch eine runde
Öffnung in der Kuppel drang, nicht mehr an das kleine Restaurant am Campo de'
Fiori und nicht mehr an die Stufen vor dem Petersdom, auf denen mein Vater
gesessen hatte, jedes Mal, bevor er Rom hatte verlassen müssen. Sie fuhr nie
wieder nach Rom. So wie sie einmal die Ufer des Neckars in ihrem Kopf gelöscht
hatte, hatte sie jetzt die Wege nach Rom gelöscht, hatte auf der Straßenkarte
hinter ihrem Schreibtisch schwarzes Kreppband über den Stiefel geklebt und
sofort angefangen zu vergessen, dass darunter ein Land lag, über dessen
Straßen seit mehr als dreißig Jahren Lastwagen mit dem Schriftzug unseres
Namens gefahren waren. Sie war nicht mehr empfindlich, wenn jemand nur das
Wort Herzschlag in den Mund nahm, und sie brauchte nicht mehr wegzuhören und
sich abzuwenden, wenn jemand sagte, er habe Herzklopfen.
Etwa zur gleichen Zeit fingen
Ellen und Karls Vater an, wieder miteinander zu reden. Wir sahen sie über den
großen Platz gehen und sich zum Abschied umarmen, als sei es nie anders
gewesen, als habe es nie eine Zeit gegeben, in der sie sich kaum hatten
anschauen können, weil ihre Blicke immer nur nach Ben gefragt hatten. Évi
hörte auf, im Fotoladen zu arbeiten, gerade als der weiße Flieder vor der Auslage
zu blühen begann. Meine Mutter hatte ihren Schreibtisch verlassen, war an den
Lagerhallen vorbei über den Hof gelaufen und zum Fotoladen gefahren, als Évi
zum letzten Mal das Glöckchen aushängte, die Tür abschloss und den Schlüssel
nicht in ihre Tasche steckte, sondern neben dem Schaufenster in den
Hausbriefkasten warf und diesem Geräusch lauschte. Meine Mutter ließ den Wagen
stehen und ging mit Évi zur Brücke über den Klatschmohn, und obwohl sie ahnen
konnte, dass Évi ablehnen würde, sagte sie noch vor den Maisfeldern: Wenn du
magst, kannst du jederzeit in der Spedition anfangen. Sie wusste, bald würden
die Jahre beginnen, in denen Évi sich nicht einmal an sie erinnern würde, wenn
sie erst die kleinen unwichtigen, später die großen wichtigen Dinge vergessen
würde, unsere Gesichter und Stimmen, selbst Karls Gesicht und Stimme, obwohl es
schwerfiel, mir vorzustellen, Évi könne Karl jemals vergessen, sie könne
jemals nicht mehr wissen, dass er vor ihrem Haus in seiner Linde gesessen und
Blätter hatte hinabsegeln lassen, dass er in ihrem Gras die Hände
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