Bank, Zsuzsa
anfange zu regnen, wenn sich die ersten schweren Wolken in den Himmel
schoben und er das gleiche Geräusch höre wie an ihrem letzten Sonntag, als Karl
mit seinem Bruder blaue und grüne Murmeln ans Fenster geschnipst hatte.
Wenn Aja und ich mit den Rädern am
Haus mit den geschlossenen Läden vorbeifuhren, sahen wir manchmal Karl im
Garten, hinter großen braunen Säcken, die es im Kaffeeladen gab, in die sein
Vater Blätter und Zweige warf und die er mit einem Anhänger wegbrachte und
hinter den Erdbeerfeldern bei einem Bauern loswurde. Wir entdeckten Karl
hinter der Hecke, wenn er mit dem Gartenschlauch über den Rasen ging, als dürfe
er keinen Tropfen vergießen, neben seinem Vater, der das Gras mit einer Sense
schnitt, mit weiten, langsamen Bewegungen, die nahtlos ineinander übergingen
und sich unzählige Male wiederholten. Die Stimme von Karls Vater hörten wir
nie, nur Karl, der immer etwas zu leise sprach, als habe er Angst, seinen Vater
aufzuschrecken, als müsse er alles vermeiden, was ihn aufbringen könnte, und
doch klang es, als suche er die Stille zu zerreden, die sich auf seinen Vater
und die Dinge gelegt hatte, die ihn umgaben. Karl hielt den Gartenschlauch so,
dass seine Schuhe nicht nass wurden, er aß, was ihm gebracht, und er trank, was
ihm hingestellt wurde, er sagte nicht nein, und er hatte aufgehört, den Kopf zu
schütteln, sich zu winden, aufzustampfen und davonzulaufen. Er wollte auffangen,
was verlorengegangen war, als könne er das, wenn er nur die Stille zerredete
und tat, was immer seine Eltern von ihm wünschten, wenn er sich nur nicht wand,
nicht den Kopf schüttelte, wenn er sich nur genügend anstrengte, besser zu
sein, besser als andere Kinder, besser sogar als Aja und ich, wenn er
versuchte, zwei Söhne in einem zu sein, und es ihm nie gelingen konnte. Wenn er
die Lücke schließen wollte, die sein Bruder gerissen hatte, an einem hellen
blauen Nachmittag, an dem er zum Waldsee gefahren und danach verschwunden war,
und die tiefer und größer geworden war, mit jeder Nacht, mit jedem Morgen, an
dem außer Karl und seinen Eltern niemand mehr glaubte, sein Bruder würde noch
zu ihnen zurückkehren.
Seit seine Mutter angefangen
hatte, mit den Tassen zu klappern, kam Karl öfter zu Évi, jedes Mal, wenn er
das Klappern nicht länger aushielt, wenn er es nicht mehr hören wollte und
sein Fahrrad nahm, um mit dem Blick aufs ferne Bahnwärterhäuschen an Weizen und
Mais vorbei zu Évi zu fahren, die ein buntes Glas mit Saft für ihn füllte und
über sein Haar strich, das im Sommer in den Spitzen heller wurde. Aja und ich
wussten schon, Karls Mutter klapperte wieder mit dem Geschirr, wenn sie es
unter fließendem Wasser abspülte, wenn sie es in den Schrank räumte und
Splitter aus den Tellerrändern brachen. Wir wussten, sie setzte neue Risse ins
Porzellan, die aussahen, als liege ein Haar darauf, weil sie der Gedanke
erwischt hatte, Ben würde nach der Schule nicht mehr nach Hause gehen und
seinen Schulranzen abwerfen, er würde an den Wochenenden nicht mehr an ihre
Tür klopfen, die Schuhe abziehen und sich an ihren Tisch setzen, an dem ihr das
Geschirr in den Händen gerade zu schwer geworden war.
Wir sahen Karls Mutter nur, wenn
sie kam, um Karl abzuholen, und wir konnten uns nie daran gewöhnen, wie langsam
alles an ihr war, selbst ihr Wimpernschlag, wie langsam sie alles machte, wie
langsam sie auch den hellen Wagen fuhr, den sie am Wochenende in einer
Werkstatt waschen ließ, wie lange sie brauchte, bis er vor Évis Lattenzaun
stand, und wie langsam sie ausstieg, als wüsste sie nicht, wie sie ihre Füße
setzen sollte, in ihren cremefarbenen Schuhen, als habe sie Angst, sie könnten
auf dem kurzen Weg zu Évis Haus schmutzig werden. Wie sie zum schiefhängenden
Tor ging, als käme sie kaum voran, als sei sie soeben aufgewacht und müsse die
Augen hinter dunklen Gläsern verbergen, und wie sie ihre Brille dann abnahm,
selbst das tat sie langsam, sobald sie neben Karl stand und ihre Augen, das
viel zu helle Grün darin zeigte, als müsse jedes Licht sie schmerzen. Auch wenn
sie redete, tat sie es langsam, sie setzte ihre Wörter sicher und behutsam,
anders als Évi, aus der die Wörter oft heraussprudelten, wie sie ihr gerade
einfielen. Karls Mutter schien keine Vorstellung von Zeit zu haben, sie trug
keine Uhr am Handgelenk und kannte keine Eile, wenn sie unter Évis Bäumen stand
und Zigaretten rauchte, die in einer Schachtel aus Perlmutt steckten, während
sie Karl am
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