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Bank, Zsuzsa

Bank, Zsuzsa

Titel: Bank, Zsuzsa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die hellen Tage
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Dunkelrot sei keine Farbe für meine Mutter, es passe
nicht zu ihr, und es passe schon gar nicht zu ihren schmalen Füßen.
Brüder
     
    Alle Kinder in Kirchblüt hatten Geschwister,
nur Aja und ich, wir hatten keine, und Karl, der einen Bruder hatte, lebte ohne
ihn. Damals schien es keine Rolle zu spielen, schon weil niemand darüber
sprach, aber es hielt uns fest in einem Dreieck, aus dem wir uns nicht lösen
konnten. Verschoben hat sich seitdem vieles, in den Jahren, die uns haben
wachsen und älter werden lassen, auch mein Blick hat sich verändert, mein Blick
auf Karl und Aja, auf alles, was ich in ihnen sehen konnte, hat sich unzählige
Male geändert, manchmal in wenigen Augenblicken. Wir haben unser Dreieck in
die Länge gezogen, wir haben die Orte gewechselt und uns voneinander entfernt,
wir haben die Abstände neu abgesteckt und bemessen. Wir sind in andere
Richtungen gestrebt, manchmal, als wollten wir nur weg voneinander, ohne es zu
merken und sagen zu können. Wir haben einander verloren und doch wiedergefunden,
ganz gleich, wohin wir uns bewegten, wohin es uns drängte.
    Als Aja angefangen hatte zu lesen,
glaubten wir zum ersten Mal, wir hätten sie verloren. Etwas zog sie weg von
Karl und mir und unseren Spielen. Wir konnten sie in ihrem bunten Tuch sehen,
unter einer Decke mit verblassten Flecken, die an den Enden in viele Fäden
ausfranste, wenn sie zwischen zwei Bäumen schaukelte und hochschaute zu uns,
nur um ihren Blick schnell wieder zu senken, und manchmal wurden wir müde
davon, Karl und ich, müde vom Warten, bis Aja wieder einen Blick für uns hatte,
bis sie aus ihrem Tuch sprang und ihr Buch allein darin schaukeln ließ. Kurz
nachdem Évi angefangen hatte, sich durch die Sätze und Buchstaben zu quälen,
war Aja schon über die Zeilen gehastet, über die Wörter geflattert und hatte
ihren Sinn erfasst, mit einer Gier, die sie nie mehr ablegte und später bei
allem zeigte, das sie unbedingt beherrschen wollte. Während Évi noch immer
langsam die Absätze aneinanderreihte, ließ sich Aja für die Vorlesewettbewerbe
der Schule aufstellen, setzte im Direktorenzimmer an Évis Hand durch, dass sie
antreten durfte, obwohl sie jünger war als die anderen, und während Karl und
ich in einer der ersten Reihen zuhörten, las Aja im Stehen auf der Bühne, an
einem Pult, hinter das Évi zwei Kisten gestellt hatte, damit Aja hochsteigen
und gesehen werden konnte. Aja las aus einem Buch, das sie aus der
Pfarrbücherei hinter der Kirche am großen Platz hatte, die sonntags nach dem
Gottesdienst geöffnet war, von zwei Brüdern, die ihr Dorf in den Bergen
zurücklassen mussten, um in einer großen Stadt Ruß und Staub aus den Schornsteinen
zu fegen. Sie las mit ihrer hellen Stimme, die sich manchmal überschlug, lauter
und flüssiger als alle anderen Schüler, ohne sich zu räuspern, ohne zu stocken
und zu stolpern, als brauche sie das Buch nicht mehr, als kenne sie schon jeden
Satz und als reichten ihr allein die Wörter in Gedanken.
    Während Aja las, tobte in Karls
Kopf ein Klacken, ein leises Klacken nur, das meist ohne Ankündigung
wiederkehrte und das ich sofort erkennen konnte, schon an der Art, wie Karl
seine Hände dann hielt, die sich zu Fäusten ballen wollten, und daran, wie er
sich an seinen Kopf fasste, an seine Ohren, als versuche er, das Geräusch so zu
vertreiben. Bei Regen klopfte es lauter und heftiger an, dieses Klack-Klack.
Sobald sich der Himmel verdunkelte, sobald die Wolken unruhiges Wetter
heranzogen, sagte Karl, höre er es nahen, mit dem ersten Regentropfen sei es
dicht an seinem Ohr und dann mit jedem Tropfen lauter als zuvor, das
Klack-Klack von Murmeln, die gegen eine Fensterscheibe schlugen. Aja und ich
wussten davon, seit Karl uns in Évis Küche sein Fotoalbum gezeigt hatte, mit
dem Pergamentpapier zwischen den Seiten, das er damals, als sein Bruder
verschwunden war, auf dem tiefroten Sitz des Autos fest in die Hände genommen
hatte, um es der Polizei zu geben. Évi hatte darum gebeten, sie hatte die
Bilder anschauen wollen und Karl gefragt, ob sein Bruder manchmal irgendwo auftauche
und Karl ihn dann sehen könne, vielleicht so, wie Zigi an den Feldern hinter
Weizen und Mais auftauchte, in den Monaten, in denen er weit von Kirchblüt
entfernt war und Évi ihn trotzdem sehen konnte. Mir war die Frage verrückt
vorgekommen, aber Karl hatte sofort gesagt, ja, er tauche auf, nicht nur in
seinen Träumen, nicht nur auf den Bildern, die er male, sondern jedes Mal, wenn
es

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