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Bank, Zsuzsa

Bank, Zsuzsa

Titel: Bank, Zsuzsa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die hellen Tage
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Hemdkragen zupfte und sein Haar aus seiner Stirn strich. Karls
Mutter sah nicht aus wie eine Mutter, etwas ließ sie zu jung aussehen,
vielleicht war es auch ihre Art, mit Karl zu reden, die anders war als bei
anderen Müttern, selbst ihre Art, ihn anzufassen, selbst die war anders. Aja
und mir war sie fern, auch wenn sie dicht vor uns stand und wir sehen konnten,
wie sich die winzigen Glieder ihrer Kette an ihren langen blassen Hals
schmiegten. Sie passte nicht hierher, nicht nach Kirchblüt und nicht in Évis
Garten, und alles an ihr sah aus, als liege ihr auch nichts daran,
hierherzupassen.
    An einem Frühlingsabend, an dem
wir von den Bahnschranken durch den knöchelhohen Weizen gejagt und unter unseren
Linden ins Gras gefallen waren, hatte Karls Mutter schon unterm Birnbaum
gestanden und nach ihrem Feuerzeug gesucht, in ihrer Tasche und ihrem leichten
Mantel aus eisblauem Stoff, mit dem schmalen Kragen aus Kunstfell, den sie nie
zuknöpfte, hatte im Handschuhfach ihres Wagens nachgesehen und war
zurückgekehrt, um Évi um Feuer zu bitten. Eine wolle sie noch rauchen, bevor
sich Karl verabschiede von den Mädchen, wie sie sagte, weil sie uns nie beim
Namen nannte, als sei ihr die Mühe zu groß, sich unsere Namen zu merken und
dann auch auszusprechen. Évi hatte begonnen, Rosen zurückzuschneiden und ihre
Zweige mit Draht an den Latten festzubinden. Sie sagte, in der Küche müsse sie
Feuer haben, für ihre Kerzen am Abend habe sie irgendwo Streichhölzer liegen,
Karls Mutter solle nachsehen, auf dem Küchenregal neben dem Fenster, weit
hinten, damit Aja sie nicht nehmen könne, und ich weiß nicht, wie Évi vergessen
konnte, dass dort das Kästchen aus Blech lag, aus dem Karls Bruder einmal
kleine Tafeln Schokolade in farbigem Papier genommen hatte, ein Kästchen, das
jetzt mit Murmeln gefüllt war und darauf wartete, von Évi geholt zu werden,
wenn Karls Bruder eines Tages an ihrem Zaun entlanggehen würde. Erst als Évi
sich an den Rosen stach, als sie ihr Taschentuch aus der Schürze nahm, um den
Finger wickelte und es sich rot färbte, fiel es ihr ein, und sie rief durch den
Garten: Sind sie da, haben Sie die Hölzer gefunden?, mit einer Stimme, die
plötzlich unruhig klang, und als keine Antwort kam, ging sie die wenigen
Schritte zum geöffneten Fenster, wo Karls Mutter am schiefen Küchentisch saß,
die Arme aufgestützt, das Gesicht in die Hände gelegt, das Kästchen aus Blech
vor ihr, die grünen und blauen Kugeln aus Glas übers Wachstuch gestreut.
    Évi kletterte ins Fenster und
blieb im Rahmen sitzen, zwischen den roten Rosen aus Papier, die mit jedem
Jahr blasser über die Tapete rankten, seit Zigi sie einmal aufgeklebt hatte.
Sie sagte, Karl habe das Kästchen gebracht, und es klang wie eine
Entschuldigung. Sie habe ihn danach gefragt, um etwas zu haben, das sie seinem
Bruder geben könne, wenn er eines Tages vor ihrem Fenster über den Feldweg
gehe. Karls Mutter hatte angefangen zu weinen, auf ihre tonlose stille Art, sie
wischte sich über die Augen, verschmierte die Wimperntusche auf den Wangen und
Händen, auf dem Eisblau ihres Mantels, und Évi weinte ein bisschen mit ihr,
solange sie die Kugeln eine nach der anderen zurück ins Kästchen setzte, um sie
danach wieder herauszunehmen und in kleinen Kreisen auf den Tisch zu legen.
Als sei sie sich plötzlich selbst nicht mehr sicher und müsse es deshalb noch
einmal hören, sagte Évi: Karl hat es mir gegeben, damit ich es für seinen
Bruder aufbewahre, damit ich etwas habe, das er wiedererkennen kann, wenn er
eines Tages hier vorbeikommt, und dann weinten sie weiter, Karls Mutter um
ihren verlorenen Sohn und Évi, weil sie vielleicht ahnte, nie würde Karls
Bruder an ihrem Zaun entlanggehen, und nie würde sie ihm das Kästchen aus Blech
geben können.
    Wenn sie gewusst hätte, es sei ihr
letzter gemeinsamer Morgen, sagte Karls Mutter, hätte sie ihn gehalten, ein
letztes Mal fest in ihren Armen. Sie hätte ihn anders angeschaut, hätte
versucht, sich alles einzuprägen, was sie an diesem Morgen an ihm sehen konnte,
die wirren Haare nach dem Schlaf, die zwei kleinen Wirbel über seinem Nacken,
die Falten in seinem Schlafanzug, einen Mückenstich über dem Auge, eine Wimper,
die sich gelöst hatte und auf der Wange lag. Sie hätte über seinen Kopf
gestrichen, sein Haar befühlt, ihr Gesicht darin versinken lassen und sich
nicht zu schnell von ihm verabschiedet, wie sonst am Montagmorgen, wenn sein
Vater früh kam, um ihn zu holen, zur Schule zu

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