Bank, Zsuzsa
Klatschmohn durch den fallenden Schnee
gelaufen. Sie war aus ihrem Wagen gestiegen, in einem langen schwarzen Kleid,
dessen Rücken tief ausgeschnitten war und ihre helle Haut zeigte, als wolle sie
am Abend ausgehen und habe sich schon dafür angezogen. Évi hatte es erst für
ein Traumbild gehalten, das aus der Nacht in diesen Wintertag geschlüpft war
und sich über den Schranken des Bahnwärterhäuschens auflösen würde, wenn sie
nur genau hinschaute, so jedenfalls hatte sie es wenig später meiner Mutter
erzählt. Karls Mutter hatte die Wagentür offengelassen und war auf hohen
Absätzen langsam an den Feldern entlanggegangen, hinter denen der Wald begann,
dessen Grün die Polizeibänder zerschnitten hatten, in den Wochen, in denen mit
Hunden und Stöcken nach Karls Bruder gesucht worden war. Seit diesem Tag hatte Évi
aufgehört, Karl zu fragen, ob er nicht nach Hause müsse, als sei sie nicht mehr
sicher, was ihn dort erwarte. Wenn er an den Abenden auf den Stufen vor dem
Fliegengitter oder im weichen Gras unterm Birnbaum eingeschlafen war, trug
meine Mutter ihn über die losen Platten und legte ihn auf den Rücksitz unseres
Wagens, ohne dass Karl davon aufgewacht wäre, und da wir nicht wussten, wohin
wir ihn bringen sollten, zu seiner Mutter oder zu seinem Vater, nahmen wir ihn
mit zu uns, zogen ihm Schuhe und Strümpfe aus und ließen ihn vor den
Bücherregalen auf unserem Sofa schlafen, und wenn er am Morgen mit uns beim
Frühstück saß, schien er sich nie darüber zu wundern.
Im Sommer tauschte Aja ihr Fahrrad
gegen ein größeres, auch wenn es ihr schwerfiel und sie Évi verboten hatte, es
wegzugeben, weil Zigi sie daraufgesetzt hatte und die Feldwege rund ums
Bahnwärterhaus neben ihr abgelaufen war, als er ihr das Fahren in seinem Sommer
beigebracht hatte. Aja bekam ein Rad, das man Évi für wenig Geld überlassen
hatte, und als Aja die ersten Runden auf dem großen Platz damit drehte, fing Évi
an, Karls Mutter zu besuchen. Aja sagte, Évi habe wie immer die leeren gelben
Kisten übereinandergestapelt und auf die Stufen vor dem Fotoladen gestellt,
habe das Glöckchen ausgehängt, die Glastür geschlossen und sei mit ihr quer
über den großen Platz gelaufen, unter den Platanen, die ihre späten Schatten
vor ihre Füße geworfen hätten. Vor dem Schaukasten der Kirche seien sie wie
jedes Mal stehen geblieben, um nachzusehen, wann sie sich am Sonntagmorgen zum
Gottesdienst aufmachen müssten, obwohl sich die Zeiten nie änderten, und als
sei Évi gerade etwas eingefallen, seien sie nicht weiter zur Brücke über den
Klatschmohn gegangen, sondern umgekehrt, um langsam durch die Straßen mit den
Backsteinhäusern und Rosengärten zu spazieren, zu den breiteren Wegen, wo die
größeren Häuser standen, auch das Haus, in dem Karl mit seiner Mutter wohnte,
hinter einer Hecke, die Karls Mutter hatte schneiden lassen, damit ihr an den
hohen Fenstern nichts entgehen und sie niemanden übersehen würde, der vorbeikam
und durch ihr lichtes Haus in den Garten, zum Teich und dem Schilf, das ihn
umgab, schauen konnte.
Aja fuhr auf ihrem neuen Rad unter
den Kastanien auf und ab, nachdem Karls Mutter Évi gesehen und ihr geöffnet
hatte. Später erzählte uns Évi, sie hätten vor dem Terrassenfenster gesessen,
Karls Mutter habe auf ihre Hände geschaut, auf ihre schmalen Ringe und die
farbigen Steine, die von ihnen gefasst wurden, und weil Évi es sich verboten
habe, ihren Blick über die schwarzweißen Fotos an den Wänden gleiten zu lassen,
die alle Karls Bruder zeigten, habe sie aufs Schilf draußen gesehen, das im
Frühling sein Gelb verloren und sich wieder grün gefärbt hatte. Es sei ihnen
nicht viel eingefallen, das sie einander hätten sagen wollen, als habe es
nicht schon andere, hellere Tage gegeben, als habe Karls Mutter nicht schon in Évis
Küche gesessen, Murmeln aus einem Kästchen genommen und über den schiefen Tisch
rollen lassen, als habe sie Évi nie acht Kristallgläser in einem Päckchen mit
weißer Schleife geschenkt. Für den Augenblick hatte es Évi gereicht, etwas
hatte ihr die Angst genommen, Karl an den Abenden nach Hause zu schicken, und
so, wie sie morgens nach den Sträuchern an ihrem Zaun sah, sah sie fortan
mittags, wenn sie den Fotoladen geschlossen hatte, nach Karls Mutter und hörte
bald auf, sich Vorwände einfallen zu lassen für die kurze Zeit, wenn sie vor
dem Fenster saßen und aufs Schilf schauten. Manchmal brachte Évi etwas von
ihrem Kuchen, aber Karls Mutter rührte
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