Bank, Zsuzsa
gezupft, als warte sie noch auf etwas, das von ihm kommen müsse,
und bevor er sich auf den Sattel geschwungen hatte, hatte er sich zu ihr
gedreht, sich ans Kinn gefasst, als taste er nach seinem blonden Ziegenbart,
den er nicht mehr trug, und sie angeschaut, als wolle er sagen, ich weiß, du
warst es, du hast es getan, aber ich werde auch darüber kein Wort verlieren.
Während Karl und ich an Ajas
Scheitel vorbei in die Höhe schossen, hörte Aja auf zu wachsen, kurz nachdem
Zigi den Bus genommen und Karls Vater sich wieder an die geöffneten Läden zu Évis
Küchenfenster gelehnt hatte. Sie hatte die Lust daran verloren, die Fersen und
Schultern an den Türrahmen zu drücken und Zentimeter für Zentimeter neue
Striche mit dem Bleistift auf die Wand zu setzen. Vielleicht wünschte sie,
alles könne bleiben wie in den Herbsttagen, als Zigi Karls Vater
zurückgedrängt, als er ihn durch den schmalen Flur an den Mänteln vorbei aus
dem Haus, über die losen Platten aus dem Garten geschoben, die Nägel zurück in
die Wand gesteckt und Aja auf die Armlehnen der Stühle gestellt hatte, damit
sie wieder schief würden. Vielleicht konnte sie deshalb auch als Erwachsene
noch Kleider und Schuhe in Mädchengrößen kaufen, ich jedenfalls erwische mich
noch dabei zu glauben, Karls Vater sei schuld daran, dass Aja kleiner und
schmaler blieb als die Seiltänzer und Trapezkünstler, die sie kannte. Jedes
Mal, wenn ich ihn sah, auch Jahre später noch, wenn er den großen Platz
überquerte, mit seinen schweren, langsamen Schritten, wenn er mit Karl im
Herbst vor dem Sandsteinhaus das Laub zusammenfegte, wenn er sein schwarzes
Fahrrad ohne Schutzbleche an Samstagen am Markt stehen ließ, musste ich denken,
er hatte vor ihrem Fenster, vor ihrem Zaun, unter ihrer Linde gesessen, er
hatte ihr die Lust zu wachsen genommen, an ihm lag es, dass Aja die Lust daran
verloren hatte.
Évi sorgte sich, weil Aja kleiner
blieb als andere Kinder, auch wenn sie sich streckte, wenn sie sich auf
Zehenspitzen stellte und langmachte, und sie sah zu, dass Aja genug aß und
jeden Tag lange an der Luft blieb, gab ihr nach dem Aufwachen süßen, klebrigen
Saft aus einer braunen Flasche und konnte sich auch nach Jahren nicht damit
abfinden, dass Aja in ihrem großen Bett immer zu viel Platz hatte, trotz der
Kissen und Decken, mit denen Évi es aufzufüllen suchte.
Wo Évi herkam, glaubte man, ein
Kind wachse nicht, wenn man eine Leiter im Haus aufstellte und ihm die Schuhsohlen
zeigte, aber Évi hatte niemals eine Leiter im Haus geduldet. Zigi hatte immer
Stühle übereinandergestapelt, und zu Karls Vater hatte Évi gleich gesagt, wenn
er in ihrem Haus etwas ausbessern wolle, müsse er sich etwas einfallen lassen,
und dann hatte er den Tisch verschoben und war mit steifen Beinen auf seine
Platte geklettert. In Ajas erstem Jahr, als sie auf den Straßen gelebt und Aja
in Zigis aufgeklappten Koffer gelegt hatten, hatte Évi immer darauf geachtet,
dass niemand, der sich vor Aja auf den Boden setzte, seine Schuhsohlen gegen
sie richtete, und wenn, war sie sofort vom Seil gesprungen, um den Koffer mit
Aja wegzudrehen. Mit ihren kleinen Händen und Füßen sah Aja immer aus wie ein
Kind, das zu spät angefangen hatte zu wachsen oder zu früh aufgehört hatte
damit. Évi wurde manchmal gefragt, ob Aja schon nach sieben, nicht nach neun
Monaten auf die Welt gekommen sei, wie sie uns oft genug unterm Birnbaum
erzählte, wenn wir im Schatten der Zweige im großen Tuch schaukelten, mit ihrem
leichten Kopfschütteln, das immer zwei Strähnen in ihre Stirn warf, oder am
Küchentisch, wenn wir Karamell in unsere Zahnlücken klebten, wenn wir Nüsse für
den Kuchen putzen durften und die Schalen von einer Seite zur anderen über den
schiefen Tisch springen ließen.
Als im Winter die großen Stürme
über Kirchblüt fegten und mit ihrem Regen das Klack-Klack in Karls Kopf lauter
werden ließen, lernte Aja auf dem Eis zu laufen. Karl und ich fanden sie fortan
auf der Eiskunstbahn, die es seit letztem Winter gab, hinter den Fahrradwegen,
die an Erdbeerfeldern vorbei aus Kirchblüt hinausführten. Wir fanden sie an
den Abenden in der Halle, wenn die Bahn sich geleert hatte und die großen
Fluter schon ausgeschaltet waren, wenn neben Aja nur noch jemand mit einem
breiten Besen übers Eis glitt, um die von den Kufen aufgekratzten Reste an die
Seiten zu schieben, und am Morgen, noch bevor die Schule begann, wenn sie ihre
großen Kreise lief, um an Fahrt zu gewinnen, bevor
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