Bank, Zsuzsa
passieren
können, und bei allem taten sie, als sei der Stein nicht vor Ajas Bett auf den
Fransen des Teppichs gelandet, sondern habe Aja getroffen. Die beiden Frauen
redeten mit Évi wie Eltern mit ihrem Kind, wir konnten sie durch die dünnen
Wände in Ajas Zimmer hören, den spitzen, scharfen Ton meiner Mutter und die
leise Stimme von Karls Mutter, mit der sie langsam jedes ihrer Wörter setzte. Évi
sagte, wenn sie aufwache, müsse sie die Tür öffnen und den Fuß ins Freie setzen
können, sie brauche den Blick über die Felder, er müsse weit reichen, nicht nur
bis zur nächsten Mauer, sondern bis zum Bahnwärterhäuschen und weiter, im Frühling
bis zu den rapsgelben Feldern und im Herbst bis zum Tannenwald, wenn die kahlen
Laubbäume den Blick dorthin zuließen. Sie brauche die Stille, die hier draußen
nur die Vögel durchbrachen, wenn sie in der Regenrinne badeten und mit jedem
Flügelschlag den Geruch der Fotos verjagten, der abends an ihren Kleidern und
Fingern hafte, auch den der Münzen, die sie hinter der Ladentheke in die Kasse
lege. Nichts könne sie nach Kirchblüt, in ein Haus mit Stockwerken locken,
lieber würde sie weiter Decken und Planen vor die Fenster hängen und mit dem
Hammer gegen die Leitungen schlagen, wenn es über Nacht Frost gegeben hatte,
und zum ersten Mal klang es aus Évis Mund, als gebe es nichts mehr zu bereden.
Aber etwas blieb in Ajas Zimmer, das nicht verschwinden wollte. Es war ins Bett
gekrochen, in die Schubladen der Schränke, die Stoffe der Kissen und kurzen
Gardinen, es drehte die feinen Papierfiguren an ihren Fäden und legte sich wie
Staub auf die Pinsel und Stifte, die auf dem Teppich verstreut lagen, wie oft Évi
die Fenster auch geöffnet ließ, damit der Ostwind das Geräusch von klirrendem
Glas mitnehmen würde. Im Frühling strich sie die Läden mit blauer Farbe, weil
die sich am besten in den Sommerhimmel füge, wie sie sagte, und meine Mutter
begriff, nichts würde Évi verscheuchen, kein Frost und kein zersprungenes Glas,
nichts würde sie dazu bringen, ihre wenigen Dinge zu nehmen und in die Nähe des
großen Platzes zu ziehen. Sie ließen es sein, auf Évi einzureden, aber wir
alle gingen weiter durch Kirchblüt und schauten in jedes Gesicht, um uns zu
fragen, wer es gewesen sein könnte, der nachts den Stein durch Ajas Fenster
geworfen hatte.
Wir wuchsen heran, während sich
die Welt weiterdrehte, als kümmere sie sich nicht um uns, und unsere Mütter alles
daransetzten, nicht aus dem Gleichgewicht zu geraten, zu stolpern und so zu
stürzen, dass ihnen das Aufstehen zu schwer fallen würde. Lange Zeit waren sie
in gutem Abstand nebeneinander hergelaufen, Évi in grünen Gummistiefeln, an
denen immer Erde klebte, meine Mutter in flachen Schuhen, auf denen sie
schnell lief, als habe sie ständig etwas im Sinn und zu wenig Zeit dafür, und
Karls Mutter auf hohen Absätzen, die wir auf den losen Platten klappern
hörten, wenn sie die wenigen Schritte zu Évis Tür ging, jetzt, da sie Karl an
den Abenden wieder öfter abholte und sich nicht wunderte, wenn sie seinen Vater
vor leeren Kuchenplatten sitzen sah, als habe er schon immer hier gesessen,
als sei er mit seinem Fahrrad schon immer über die Feldwege rund um Évis Haus
gefahren, um sich dann vor ihrem Küchenfenster davon auszuruhen. Unsere Mütter
hatten darauf geachtet, sich nie zu nah zu kommen, keine hatte ihre
vorgezeichneten Wege aufgegeben, selbst wenn diese sich berührt hatten, wenn
sie einmal wie auf Glatteis ins Leben der anderen gerutscht waren, hatte sie
schnell wieder etwas getrennt. Sie hatten Abstand gehalten und zugesehen, ihre
eigenen Pfade nicht mehr zu verlassen. Erst seit Aja auf unserem roten Sofa
gesund geworden war und Évi gehört hatte, in welchem Ton meine Mutter dem Arzt
verboten hatte, Aja ins Krankenhaus zu schicken, seit sie gesehen hatte, wie
meine Mutter die Decke über Aja gelegt und aufgepasst hatte, dass sie nicht
verrutschte, seit Évi an zahllosen Nachmittagen mit Blick auf das gelbe Schilf
zwischen den Fotos von Ben gesessen hatte, seit Karls Mutter an den Sonntagen
in Évis Küche versucht hatte, die Dunkelheit vor ihren Augen zu vertreiben,
hatten unsere Mütter ihre Wege nicht länger versperrt und angefangen, die
Schranken davor langsam hochgehen zu lassen.
Aja lernte, ihre ersten Pirouetten
auf dem Eis zu drehen, und an einem der wenigen Abende, an denen sie nicht zur
Eislaufbahn gegangen war, hielten meine und Karls Mutter zufällig im selben
Moment ihre
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