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Bank, Zsuzsa

Bank, Zsuzsa

Titel: Bank, Zsuzsa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die hellen Tage
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und Schlamm war, es hatte uns nie gekümmert, dass an Évis Haus alles
krumm und schief war, und wir hatten weggehört, wenn man uns auf dem großen
Platz hatte fragen wollen, wie Évi und Aja darin leben konnten. Aber irgendwann
fingen selbst wir an zu spüren, wie klamm es dort werden konnte, wenn es im
Herbst schneekalt geworden war, wie Aja es nannte, wenn es über Nacht schneien
würde. Trotz der Decken, die Aja aus den Zimmern holte und Karl und mir um die
Schultern legte, hatten wir begonnen, in Évis Küche zu frieren. Nur Évi und Aja
schienen gefeit gegen die Kälte, wenn sie durch die Schlitze und Risse in den
Fensterrahmen drang, die Évi versucht hatte, mit Watte zu stopfen. Ajas Hände
und Füße wurden nicht kalt, und Évi reichten die Strickhandschuhe ohne Finger,
wenn sie abends unter einem schwachen Licht am Küchentisch saß, um in Zigis
Briefen zu lesen.
    Ich weiß den Tag nicht mehr, an
dem das eine aufhörte und das andere begann, aber es hörte auf, irgendwann
hörte es auf, im Winter wird es gewesen sein, in dem Karls Vater wieder so zu
reden anfing, wie er es früher einmal getan hatte. Es muss nach dem Sommer mit
der Weberknechtplage gewesen sein, die es aus dem Norden bis zu uns nach Kirchblüt,
bis zu den Feldern, die Évis Garten umgaben, geschafft hatte, bis in unsere
Linden und Évis Haus, wo sie sich als grauer Schatten in die Ecken rund um die
Türrahmen gesetzt hatte. Évi hatte damals Klebestreifen aufgehängt, und Aja
hatte sich darin verfangen, sie hatten ihre dunklen Locken verfilzt, und Évi
hatte sie bis auf einen kurzen, störrischen Rest abschneiden müssen, Strähne
für Strähne, in denen der Kamm steckengeblieben war. Seitdem kämpfte sie um
jeden Zentimeter mehr, wenn sie Zeitungspapier auslegte und Aja unterm
Birnbaum die Haare schnitt, mit ihrer rosafarbenen Schere, die sie aus dem Koffer
mit den Nagelfeilen und Wattebällchen nahm, vor einem Spiegel, den Zigi besorgt
hatte und den sie auf den langen Holztisch stellte, auf dem sonst die
Kuchenplatten standen, die Karls Vater in den Aufsatz vor seinem Fahrrad
schob. Aja hielt ihre flache Hand ans Ohr, um Évi zu zeigen, wie kurz ihr Haar
werden sollte, und Évi legte ihre Hand darunter, um einen Zentimeter mehr
herauszuschlagen, bis Aja den Kopf oft genug geschüttelt hatte und Évi aufgab,
weil sie wusste, wenn sie es nicht tat, würde Aja es selbst tun. Aja vergaß die
Länge ihrer Haare nur, wenn Zigi im Herbst kam, wenn er die Wiese mit der Sense
schnitt und Aja das Gras in einen Korb hinter den Hasenställen warf, wenn er
unter den Bäumen auf die Hände sprang, wenn er Holzreife an Armen und Beinen
kreisen ließ und die Kinder aus den Straßen rund um den großen Platz kamen und
über Évis Zaun schauten. Erst wenn Zigi abfuhr, wenn sie ihn am Morgen zum
ersten Bus gebracht hatten, wenn Évi auf dem Rückweg ein Rad nach dem anderen
geschlagen hatte, gegen die Stille, die sich ohne Zigi in ihrem Haus
ausbreiten würde, wenn Aja sich dann hinter der Tür an den Kopf fasste, um ihre
Mütze abzuziehen, erst dann fiel ihr auf, ihr wirres Haar, ihre Locken waren
schon über die Schultern gewachsen.
    Nach dem Sommer mit der
Weberknechtplage hatte sich selbst der Wald verändert, auf dessen Irrwege
hinter der Lichtung wir uns oft geflüchtet hatten, um uns dort zu verlaufen und
jedes Mal nur schwer wieder herauszufinden. Plötzlich kannten wir seine Pfade,
wir wussten, wie wir zu gehen hatten, selbst wenn wir abkamen vom Weg,
schreckte uns die Dunkelheit nicht, wir hatten keine Angst, wir könnten aus dem
Dickicht, in dem wir uns früher verfangen hatten, nicht mehr herausfinden.
Vieles ließen wir hinter uns in dieser Zeit, nicht bloß das Radschlagen und den
Wald mit seinem See, der vor unseren Augen kleiner und flacher geworden war.
Zigi driftete weg und verlor seine Umrisse, für Karl und mich jedenfalls war es
schwieriger geworden, ihn in Gedanken heranzuholen und scharf zu zeichnen.
Jedes Jahr fuhr er auf einem Schiff in einen Horizont, der zu fern war, um ihn
sich vorzustellen, und er kehrte erst zurück, wenn Évi von ihm erzählte und ihn
zwischen tiefhängenden Kabeln und Zetteln für Kuchenbestellungen am Trapez
schwingen ließ. Auch Karls Bruder verschwamm in den Bildern unserer Erinnerung,
Aja und ich hörten seine Stimme nicht länger, wir sahen seine puderweiße Haut
nicht mehr, und wie wir unseren Kinderblick verloren, verloren wir auch die
Zeit, in der wir in unseren Linden gesessen hatten, im Herbst

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