Bank, Zsuzsa
Milchglas saß und
unter einem goldenen Kreuz Taschentücher reichte, zur Bank, wo sie Papiere auf
den Tisch legten, und als meine Mutter nicht aufhören konnte zu weinen, sagten,
es habe Zeit, sie solle ein andermal wiederkommen. Sie setzte mich nicht mehr
in den Kinderwagen, sondern auf ihre rechte Hüfte, nahm ein breites Tuch, das
man ihr zu meiner Geburt geschenkt und das sie bisher nie benutzt hatte, band
mich darin fest, und es machte ihr nichts, wenn ihr schwarzes Kostüm
zerknitterte, wenn ihr Rock verrutschte, wenn ich ihr auf die Ärmel, auf den
Kragen spuckte. Es half ihr, wenn sie mich halten konnte, wenn ich meinen Kopf
an ihre Schulter legte, meine Hände an ihre Wangen, wenn ich an ihrer Kette mit
den großen Perlen, an ihren Ohren, ihren Haaren zog, die sie im Nacken zum Pferdeschwanz
band. Sie sagte, ich sei ihr Trost gewesen, etwas von meinem Vater habe sie
immer auch in mir gefunden, es sei da gewesen, jedes Mal, wenn sie mich
angeschaut habe, und habe dafür gesorgt, dass sie am Morgen aufgestanden sei
und bis zum Abend durchgehalten habe.
Als sie sich aufmachte ins Büro
meines Vaters, das jetzt ihr gehören sollte, als sie vorfuhr und mit der
schmalen Aktenmappe ausstieg, um etwas in den Händen zu halten, das aussah,
als würde sie gleich anfangen zu arbeiten, standen alle stumm vor der großen
Glastür zum Treppenhaus und schauten auf meine Mutter, als warteten sie auf
einen Befehl, auf ein Kommando, das sie geben musste. Meine Mutter sagte, es
würde weitergehen, irgendwie würde es weitergehen, aber sie sollten nicht
herumstehen, sie sollten zurückkehren an ihre Plätze und ihre Arbeit tun, und
obwohl ihre Stimme zitterte und kaum zuversichtlich klang, waren alle mit
leisen Schritten über die schmalen Flure zurück an ihre Schreibtische und über
den Hof zur Lagerhalle gegangen. Als sie die Post durchsah und die Karte
entdeckte, die vom Flughafen geschickt worden war, lief sie die Treppen hinab
und fuhr los, um den Koffer meines Vaters zu holen, mit Kleidern und Dingen,
die niemand mehr brauchte. Sie fuhr denselben Weg unter den Kastanien, deren
helles Grün sich in wenigen Wochen dunkler gefärbt hatte und die ihr vorkamen
wie stumme Zeugen, die alles gesehen hatten und alles wussten, seit sie mit heruntergelassenen
Fenstern unter ihren Zweigen, in ihrem Schatten gefahren war, um den Frühling
hereinzubitten, seit sie mit meinem Vater zurückgekehrt war, mit diesem Gefühl
der Unruhe, das sich nur schwer aufgelöst hatte, und der verrückte Gedanke
beschlich sie, diese Kastanien hätten schon vor Wochen gewusst, was ihr
geschehen würde und darüber geschwiegen.
Als sie den Wagen abstellte, blieb
sie noch eine Weile hinter dem Lenkrad sitzen, bevor sie auf ihren hohen Absätzen
über den Steinboden ging, langsamer als sonst, als sei sie mit einem Mal
unsicher, was sie erwartete. Sie zog die Sonnenbrille ab, zeigte ihren Ausweis,
und da man ihr zunächst den Koffer nicht geben wollte, fing sie an zu weinen
und ärgerte sich, dass sie nicht anders konnte, als in diesem winzigen Zimmer,
in dem sich das Gepäck in Blechregalen bis zur Decke stapelte, vor einem
Fremden zu weinen. Sie wagte kaum, den Koffer anzufassen, seinen Griff zu berühren,
aus Angst, die Abdrücke der Finger zu verwischen, die letzten Spuren meines
Vaters zu löschen, fasste ihn dann an den Seiten und trug ihn vorsichtig zum
Wagen, als sei nicht schmutzige Kleidung, sondern etwas Zerbrechliches darin.
Sie stellte ihn neben sich auf den
Vordersitz, weil sie den Gedanken nicht ertrug, eine Klappe über ihm zu
schließen, und wenn sie an einer roten Ampel, an einer Kreuzung hielt, legte
sie ihre Hand aufs Leder und strich über die kalten Schlösser. Sie nahm ihn
nicht heraus, und sie öffnete ihn auch nicht mit dem kleinen Schlüssel aus der
Brieftasche meines Vaters, sie räumte ihn nicht aus. Sie ließ ihn im Wagen,
mit der schmutzigen Wäsche und allem, was sich sonst darin befand, damit er sie
begleite, wenn sie durch Kirchblüt fuhr, damit ihn jeder sehen konnte, den
Koffer meines Vaters, den er gepackt hatte, wenn er nur einmal, zweimal
übernachten musste, und mit dem er vor wenigen Wochen ein letztes Mal in Rom
gewesen war. Jeder kletterte im Wagen sofort nach hinten, jeder wusste, neben
meiner Mutter, auf dem Vordersitz, stand ein Koffer, und wenn sie jemanden
mitnahm, dann nur auf dem Rücksitz.
Als der Spedition die Aufträge
schwanden, weil sie niemand einer Frau anvertrauen wollte, überließ meine
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