Bankgeheimnisse
wurde weich. »Du arbeitest zuviel!« Sie trat hinter ihn und begann, seinen Nacken zu massieren. Er lehnte den Kopf zurück und schloß die Augen.
»Es ist furchtbar«, brach es aus ihr heraus, »sie ist wie eine Tote. Manchmal denke ich, wenn sie nur weinen würde. Sie müßte weinen und alles herausschreien, so wie ich damals nach Vaters Tod. Aber sie vergießt keine Träne. Sie liegt da und starrt an die Decke oder die Wände. Wenn ich zu ihr spreche, macht sie die Augen zu. Ich glaube nicht, daß sie überhaupt mitbekommt, was ich sage. Ich rede mit ihr wie mit einem Kind, ich erzähle ihr von früher, aus unserer Zeit in Neapel, aber sie schaut mich nicht an. Ich erzähle ihr, daß sie wieder lachen und lieben und irgendwann ein Kind haben wird, aber sie schaut mich nicht an. Ich erzähle ihr, daß du sie liebst, aber sie schaut mich nicht an.«
Er versteifte sich. »Du erzählst ihr was ?«
»Es geschah in bester Absicht«, verteidigte sie sich. »Ich wollte ihr ein Lebenszeichen entlocken. Glaubst du, da bin ich in der Wahl meiner Mittel wählerisch? Außerdem spielt es keine Rolle. Sie hört sowieso nicht zu.«
»Vielleicht hört sie mir zu, wenn ich ihr etwas anderes erzähle. Morgen ist im Forchetta Ruhetag, da werde ich versuchen, ihr eine Reaktion zu entlocken. Ich komme gleich nach dem Frühstück. Ich werde ihr eine Zeitung mitbringen und ihr daraus vorlesen.«
»Es wird sie nicht interessieren.« Sie wies auf die Wände ringsum. »Ich habe ihr alles mögliche vorgelesen. Die Bücherregale deines Freundes sind fast so gut bestückt wie deine eigenen.«
»Es wird sie interessieren, glaub mir.« Er schob ihre Hände aus seinem Nacken und stand auf. »Danke für die Massage. Wir sehen uns morgen.«
Wie angekündigt, brachte er am folgenden Tag eine Tageszeitung mit. Er klopfte kurz an die Tür des Schlafzimmers und betrat dann das Zimmer, ohne eine Aufforderung abzuwarten. Johanna lag bis zum Hals zugedeckt im Bett und schloß sofort die Augen, als er hereinkam.
»Spar dir die Mühe«, sagte er. »Ich habe gesehen, daß du wach bist.«
Als sie nicht reagierte, zog er sich einen Stuhl ans Bett und beugte sich dicht über sie. »Du hattest lange genug Zeit, dich zu erholen. Du bist auf dem Weg der Besserung. Trotzdem willst du nicht essen und nicht reden. Du liegst den ganzen Tag im Bett und läßt andere für dich sorgen. Das muß aufhören.«
Sie antwortete nicht, aber an dem leichten Zucken ihrer Lider erkannte er, daß sie ihm zugehört hatte.
»Du wirst langsam lästig.« Er reizte sie bewußt. »Meine Schwester muß bald wieder nach Neapel zurück. Und ich habe Arbeit genug, auch ohne mich um eine nervenkranke Frau kümmern zu müssen.
Er sah, daß Röte in ihre Wangen stieg.
»Fabio!« Gina stand in der offenen Tür und schaute ihn mißbilligend an.
Er furchte die Stirn. »Wir hatten ausgemacht, daß du es mir überläßt.«
Sie zuckte die Achseln und zog die Tür ins Schloß. Fabio hörte, wie sie sich geräuschvoll in der Küche des Apartments zu schaffen machte.
»Ich habe dir etwas zu lesen mitgebracht.« Er raschelte vor Johannas Nase mit der Zeitung. »Das heißt, du brauchst es nicht selbst zu lesen, diese Fähigkeit hast du ja verlernt. Es ist auch schon ein paar Wochen alt, aber soweit es dich betrifft, ist es so aktuell wie damals. Es stand am Tag nach dem Unfall in den Lokalnachrichten. Den ersten Teil lasse ich aus, das sind Dinge, die du selbst weißt, weil du dabei warst. Aber die wirklich interessanten Details kennst du noch nicht. Hör zu.« Er las mit kühler Stimme: »Das im Penthouse der achtundzwanzigjährigen Bankangestellten sichergestellte Gift ist von derselben Art wie dasjenige, mit dem im August dieses Jahres der Vorstandsvorsitzende Harald Klingenberg angeblich Selbstmord verübt hat. Die Bankangestellte war mit Klingenberg befreundet. Ähnliches Gift wurde auch bei dem ermordeten Bruder der Frau gefunden, bevor er in Untersuchungshaft genommen wurde. Die Polizei schließt nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht aus, daß es sich im Fall Klingenberg nicht um einen Selbstmord handelte, sondern daß der Bankier möglicherweise einem Gewaltverbrechen zum Opfer fiel. Die Staatsanwaltschaft untersucht erneut die Echtheit des Vorgefundenen Abschiedsbriefs sowie die näheren Umstände, welche eine Verwicklung von Johanna H. in die vorangegangenen Zwischenfälle erkennen lassen. Seit dem Unfall, bei dem ihr Ehemann unter mysteriösen Umständen ums Leben kam, ist sie
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