Bankgeheimnisse
sicher, ob ihn nicht doch jemand erkannt und gesehen hatte. Jemand außer ihr. Sie war das eigentliche Problem. Sie war noch da, das spürte er. Irgendwo in der Stadt wartete sie auf ihre Gelegenheit.
Er war nicht bereit, kampflos alles aufzugeben und abzutauchen. Dafür stand zu viel auf dem Spiel. Gestern hatte er sich eine Weile der Illusion hingegeben, daß alles aufgehalten werden könnte. Leo Herbst, der junge Narr, hatte ihn beinahe davon überzeugt, daß es möglich war. Wiking hatte sich zu ihm in den Porsche gesetzt und war mit ihm zusammen in mörderischem Tempo zu Johanna gefahren. Er hatte den wilden, verletzten Ausdruck in ihren Augen gesehen. Und dann ihren toten Bruder, zusammengesackt im Flur des Penthouse. In diesem Augenblick hatte er endgültig gewußt, daß es zu spät war, um irgend etwas aufzuhalten. Das Piepen seines Handy schreckte ihn aus seinen quälenden Gedanken. Er stellte die Verbindung her und meldete sich.
»Ich bin’s«, kam es aus der Leitung. Wiking atmete durch. Wie immer verursachte Ernsts flache, emotionslose Stimme ein schwaches Kribbeln in seinem Genick. »Verdammt, können wir das nicht anders regeln mit dem Telefonieren?« beschwerte er sich mit kaum unterdrückter Hysterie. »Haben Sie sie gefunden?«
»Noch nicht.«
»Herr im Himmel!« schrie Wiking. »Was soll jetzt werden?«
»Nichts.«
»Was heißt hier nichts?« Wikings Stimme überschlug sich vor Aufregung. »Sie kann jeden Moment bei der Polizei auftauchen!«
»Das glaube ich kaum. Schließlich wird sie gesucht. Das Zeug ist wie geplant im Penthouse gefunden worden. Vorläufig wird sie stillhalten.«
»Woher wollen Sie das so genau wissen?«
»Es hat etwas mit meinen... besonderen Fähigkeiten zu tun. Sie hat Angst, und ich weiß es. Ich spüre das. Irgendwann erkläre ich es Ihnen. Eine andere Sache. Haben Sie die nötigen Vorsichtsmaßnahmen getroffen?«
»Vorsichtsmaßnahmen?« fragte Wiking verständnislos.
»Die Akte.« Ernsts Stimme klang eisig.
»Was ist damit?«
»Muß ich es wirklich sagen?«
Wiking schüttelte heftig den Kopf, dann begriff er, daß Ernst es nicht sehen konnte. »Nein, natürlich nicht, ich kümmere mich darum.«
»Sofort.«
»Ja, sofort.«
»In Ordnung. Ich rufe morgen wieder an. Um Punkt elf. Wenn es Probleme geben sollte, komme ich nach Frankfurt.«
Es klickte in der Leitung, Ernst hatte die Verbindung unterbrochen.
Wiking schob das Handy in seine Brusttasche und sammelte sich einige Sekunden, zwang sich zur Ruhe. Dann stieß er sich von der Fensterbank ab und ging in sein Vorzimmer, wo er seine Sekretärin informierte, daß er in der folgenden Stunde im Haus unterwegs sein würde. Er eilte weiter zu den Aufzügen, fuhr in die zehnte Etage und suchte Johanna Herbsts Sekretärin auf. Er betrat das Büro, ohne anzuklopfen. Hilda bemerkte ihn nicht. Sie saß am PC, eine halbleere Tüte Marshmallows neben sich. Ihre rot lackierten Nägel leuchteten auf dem weißen Kunststoff der Maus, die sie über das Pad huschen ließ. Er sah die bunten Spielkarten auf dem Bildschirm. Vermutlich legte sie Patiencen.
Er räusperte sich, und sie fuhr mit einem Aufschrei herum.
»Ich hatte angeklopft«, behauptete er scheinheilig. Sie nickte und entschuldigte sich mit hochrotem Kopf dafür, daß sie ihn nicht gehört hatte.
»Was ist das?« Er deutete auf den Bildschirm in derselben Sekunde, als die Karten verschwanden und einem sich langsam ausbreitenden Sternenuniversum Platz machten.
Sie starrte ihn nervös an. »Ein Bildschirmschoner.«
»Das davor.«
»Es... es ist ein Kartenspiel. Solitaire.« Ihre großen runden Augen fixierten ihn mit der Ängstlichkeit eines verschreckten Kaninchens.
»Na, so was.« Er kam näher, schob die Marshmallows beiseite und setzte sich zu ihr auf die Schreibtischkante. »Sie spielen wohl gern, was?«
Sie zuckte die Achseln und wich seinen Blicken aus.
»Elilda. Sie heißen doch Hilda, oder? Sagen Sie, hätten Sie nicht Lust, einmal richtig zu spielen? In einem Kasino?«
Die Ängstlichkeit in ihren Augen wich zimperlicher Scheu. »Ich weiß nicht.«
Er fuhr sich über den Backenbart. Mit der freien Hand tätschelte er gönnerhaft ihren Oberarm und musterte dabei ihre aufreizend füllige Figur. »Wer weiß, vielleicht lade ich Sie ein, wenn ich demnächst Zeit habe. Jede hübsche junge Frau sollte ab und zu in ein Kasino ausgeführt werden.«
Er registrierte mit Genugtuung, daß sie ihn offen anhimmelte. Jetzt hatte er sie doppelt in der Hand. Er
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