Bankgeheimnisse
erwacht, keuchend vor Entsetzen, und er hatte sie an sich gezogen, sie an seine Brust gepreßt und italienische Worte an ihrem Nacken gemurmelt. In der schattigen Dunkelheit hatte er ihren hämmernden Herzschlag gefühlt, gleichbleibend heftig. Doch noch bevor ihre Hände zu suchen begannen, konnte er fast auf die Sekunde genau den Zeitpunkt spüren, als die Ursache für den rasenden Rhythmus ihres Pulses sich änderte und das namenlose Entsetzen von Verlangen abgelöst wurde. Es war dasselbe Verlangen, das sie schon mehrfach in den letzten Tagen in seine Arme getrieben hatte. Die anfängliche Demütigung, körperlich von ihr benutzt zu werden, war der Erkenntnis gewichen, daß sie dieses Verlangen nicht kontrollieren konnte, weil es der vom Überlebensinstinkt diktierte Reflex einer gejagten Kreatur war. In wortlosem Einverständnis hatte er sie gehalten, sie mit tiefer Zärtlichkeit geliebt, bis das kalte Licht des’ Tages heraufzog, und als sie schließlich wieder in erschöpften Schlummer sank, war er aufgestanden und zur Arbeit gefahren.
Fabio drehte das Wasser ab, legte die Wurzelbürste beiseite und trocknete mit langsamen, kräftigen Bewegungen seine Hände. Er blickte hoch und musterte sein Gesicht im Spiegel über dem Waschbecken. Der Schwung seines Kinns ließ seine Züge energisch wirken. Die schwachen Linien um Augen und Mundwinkel signalisierten nur bei näherem Betrachten Müdigkeit. Das war eines der Dinge, die Ernesto ihm beigebracht hatte. Du darfst dir nichts anmerken lassen, mein Junge. Wenn du deinen Feinden deine Angst zeigst, bist du ein gehetztes Wild, das mit dem Rücken zu einer bodenlosen Schlucht gestellt worden ist. Fabio hatte diese sowie einige andere von Ernestos Lebensweisheiten verinnerlicht und für spätere Anlässe gespeichert. Jetzt war ein solcher Anlaß da. Ihm war nicht anzumerken, wie es in seinem Inneren aussah und welche Nervenqualen er ausstand. Er wußte, daß fremde Blicke auf ihm ruhten, aber niemals würden sie die tiefe Schlucht hinter seinem Rücken zu Gesicht bekommen. Heute abend hatte ein Mann im Forchetta gegessen, den er noch nie gesehen hatte. Schlank, Mitte Vierzig, leicht ergraut und unauffällig gekleidet, entsprach er keiner der Beschreibungen, die Johanna von den Killern gegeben hatte. Fabio war jedoch nicht so naiv zu glauben, daß der Feind nur die wenigen Männer zur Verfügung hatte, die Johanna bereits kannte.
Der Fremde hatte allein an einem der kleineren Ecktische gesessen, der vor fünf Tagen auf einen Allerweltsnamen bestellt worden war. Er hatte das Menü bar bezahlt. Lucia, die junge Frau, die ihn bedient hatte, erzählte Fabio später, daß der Mann sich auffallend für den Mord im Penthouse und Fabios Rolle als Retter interessiert hatte. Lucia hatte sich strikt an Fabios bereits vor Wochen erteilte Anweisung gehalten und dem Gast die Version aufgetischt, der zufolge sein Eingreifen reiner Zufall gewesen sei. »Willst du Löcher in den Spiegel starren?« Carlo blickte amüsiert Fabios Gesicht im Spiegel an, während er seine Jacke zuknöpfte. Fabio lächelte dünn. Er wandte sich ab, ging zu einem Wandschrank und nahm Kamm und Rasierapparat aus dem obersten Fach. Er glättete mit dem Kamm seine widerspenstigen Locken und fuhr dann mit dem batteriegetriebenen Rasierer über sein Kinn und seine Wangen. Sein Bartwuchs war kräftig, er bekam rasch bläuliche Bartschatten, die ihm das Aussehen eines düsteren Halbweltmachos verliehen. Oft rasierte er sich daher noch im Laufe des Abends, bevor er sich auf einen Abschiedsdrink zu seinen Gästen setzte. Heute hatte er bis jetzt damit gewartet, weil er für sein Vorhaben so frisch und vertrauenerweckend wie möglich wirken wollte.
»Du siehst aus wie ein römischer Held der Antike«, zog Carlo ihn auf.
»Dann ist es so, wie es sein sollte.« Fabio zog eine für seinen sonstigen Geschmack zu modische Winterjacke mit Lammfellbesatz an Ärmeln und Kragenaufschlägen an und vertauschte die Turnschuhe mit eleganteren Lederstiefeln.
»Ich bin soweit. Laß uns gehen.« Fabio rief einen halblauten Gutenachtgruß in die Küche hinüber und folgte Carlo zum Hinterausgang des Restaurants. Nach der bulligen Wärme in der Küche des Forchetta schien die Nachtluft draußen auf dem Hof arktisch kalt. Carlo schnaufte dankbar, als käme er seit Monaten zum erstenmal an die frische Luft. Fabio ging zur Beifahrertür von Carlos französischem Kleinwagen und wartete, bis der Sizilianer ihm aufschloß.
Ihre Fahrt
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