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Bankgeheimnisse

Bankgeheimnisse

Titel: Bankgeheimnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Sievers
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zufällig gerade im Weg stand, als sie jemanden liquidierten. So etwas kam damals in Neapel fast jeden Tag vor. Für den einen bedeutete es Tod. Für den anderen nur ein bedauerliches Versehen.«
    »Es tut mir so leid.«
    »Ist schon gut. Es ist lange her. Fast zwanzig Jahre.«
    »Das ist nicht lange genug, wenn du noch davon träumst.«
    »Die Träume haben erst wieder angefangen, als ich nach Deutschland gekommen bin.«
    Johanna spürte seine Anspannung und wartete schweigend, daß er weitererzählte. Das erste blasse Licht der Morgendämmerung zog herauf und drang ins Zimmer. Die Schatten an den Wänden wurden schwächer.
    Als er wieder sprach, war seine Stimme frei von hörbaren Emotionen. »Ich habe jahrelang für ihn gearbeitet und in seinem Haushalt gelebt, ohne zu ahnen, daß es seine Schuld war.«
    »Für ihn?«
    »Den Mann, der dafür verantwortlich war. Der, dessen Killerschwadron meinen Vater niedergeschossen hat wie ein lästiges Hindernis. Als ich es Jahre später durch einen Zufall herauskriegte, habe ich alles hinter mir gelassen und bin hierher gekommen. Aber seitdem bin ich in meinen Träumen wieder der kleine Junge von damals, und mein Vater fällt vor mir tot in den Staub.«
    »Mein Gott, wie furchtbar das für dich gewesen sein muß!« flüsterte sie.
    »Nicht schlimmer als die Dinge, die du erlebt hast.«
    »Ja, aber du warst noch ein Kind!«
    »Du warst auch ein Kind, hast du vergessen? Komm, schlaf wieder ein, es ist noch zu früh. Ich werde dich nicht mehr stören.« Er machte Anstalten, aufzustehen.
    »Was hast du vor?«
    »Ich leg mich nebenan aufs Sofa.«
    Sie griff nach ihm und zog ihn zurück ins Bett. »Bleib hier. Ich brauche dich. Kann sein, daß ich auch schlecht träume.« Den Mund an seine Schulter gepreßt, murmelte sie: »Ja, ich brauche dich. Wir alle haben unsere Träume. Gute und schlechte. Wir träumen die guten gemeinsam. Wir wecken uns auf aus den schlechten. Du darfst nicht weggehen.«
    »Ich gehe nicht weg.«

    Die beiden Frauen knieten in einer der vorderen Bänke. Die Kirche war an diesem frühen Freitagabend bis auf wenige Besucher, die sich über das gesamte Schiff verteilten, leer. Mattbuntes Licht fiel durch die hohen schmalen Fenster hoch oben an den Wänden. Draußen war es bereits dunkel, das Licht stammte von Laternen. Ein schwarz gekleideter Küster inspizierte Blumengebinde vor dem Altar und brachte frische Kerzen zu den Opferstöcken. Dann verschwand er in der Sakristei.
    Die ältere der beiden Frauen war füllig und schwarzhaarig, die andere hatte knabenhaft kurzes, dunkelblondes Haar. Sie trug trotz des trüben Dämmerlichts, das in der Kirche herrschte, eine verspiegelte Brille. Ihre Kleidung war schlicht; ein dick wattierter grüner Sweater und farblich dazu passende Jeans wurden von halbhohen fellgefütterten Stiefeln ergänzt. Die schwarzhaarige Frau trug einen Nerz.
    Johannas Gedanken kreisten um das, was in der kommenden Nacht vor ihr lag. Müßig lauschte sie dem italienischen Gemurmel neben ihr, in das von Zeit zu Zeit lateinische Vokabeln flössen. Johanna erkannte einzelne davon, Worte von Sünde, Schuld, Reue. Bitten um Vergebung für die Lebenden und Frieden für die Toten.
    Sie starrte tränenlos auf ihre wie zum Gebet verschränkten Hände. Obwohl im christlichen Glauben erzogen, konnte sie keinen Trost in der Zwiesprache mit Gott finden. Die Worte waren alle noch da, aber es waren nur Hülsen, hundertmal gedroschenes Stroh aus ebenso vielen quälenden Sonntagsmessen, die sie und ihr Bruder Woche für Woche unter der Aufsicht des Heimpersonals besuchen mußten.
    Sie schrak zusammen, als Gina sich unvermittelt erhob, sie am Ärmel hochzog und ihr bedeutete, mitzukommen. Sie verließen das Gestühl gemeinsam. Im Mittelgang des Hauptschiffs deutete Gina einen Kniefall an und bekreuzigte sich, bevor sie weiterging. An einem der Opferstöcke blieb sie stehen. »Willst du auch Kerzen anzünden für deine Lieben?« flüsterte sie. Aus ihrer Handtasche holte sie Geld und warf es in den dafür bereitstehenden Behälter, nahm eine Kerze und zündete sie an einer der bereits brennenden an. Sie stellte sie in eine freie Halterung.
    Johanna blinzelte in die Flammen, die, von einem plötzlichen Luftzug gestreift, zu einer einzigen zu verschmelzen schienen. Wachs tropfte über den schmiedeeisernen Ständer, und der Geruch von Rauch hing in der Luft.
    »Es nützt nichts.« Ihre Stimme war flach und ausdruckslos. »Ich hatte geglaubt, es könnte vielleicht

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