Bankgeheimnisse
gigantischen Singleparties, aber meist kamen sie hierher. Sie waren keine zwanzig mehr, und das >Topas< war kein Aufreißerschuppen mit Abschleppgarantie; die meisten Besucher kamen paarweise oder in Gruppen. Dennoch dauerte es in der Regel keine halbe Stunde, bis die Prinzen fürs Wochenende sich eingestellt hatten. Bis zum nächsten Aufwachen entpuppten sie sich meist als schwitzende, eilige Fummler, denen die Gürtelschnalle lockerer saß als die Geldbörse.
Phil Collins wurde ausgeblendet und von Billy Joel abgelöst. Hilda trank ihre Pina Colada aus und schloß die Augen. Als sie sie nach einer Weile wieder öffnete, sah sie ihn. Sie hatte selten einen besser aussehenden Mann gesehen. Er war um die Dreißig. Und er war groß, über einsachtzig, breitschultrig und dunkelhaarig. Seine Augen waren von einer seltenen Bernsteintönung und hoben sich wie Gold von seiner olivfarbenen Haut ab. Er lächelte sie mit weißblitzenden Zähnen an, sinnlich, etwas boshaft. Als er sie zum Tanzen aufforderte, hörte sie an dem schwachen Akzent, daß er Italiener sein mußte. Mariah Carey sang When a hero comes along. Hilda stand mit puddingweichen Knien auf und folgte ihm zur Tanzfläche. Sie nahm nur undeutlich wahr, daß ihre Freundin mit einem anderen, etwas kleineren Mann zum Tanzen ging, der ebenfalls mit italienischem Akzent sprach. Hilda schmolz zu Mariah Careys Song in den Armen dieses attraktiven Fremden. Sie hatte das Gefühl, ihn schon immer gekannt zu haben, und sagte es ihm. Nach zwanzig Minuten langsamen, wortlosen Tanzens führte er sie zum Tisch zurück. Er bestellte ihr einen frischen Drink und begann, charmant zu plaudern. Hilda merkte schnell, daß er etwas Besonderes war, in nichts zu vergleichen mit den anderen Vorstadtlangeweilern. Er wollte alles über ihre Arbeit in der Bank wissen. Noch nie hatte ein Mann sich für ihren Beruf interessiert. Sie lachte und himmelte ihn an, gab ihm bereitwillig Auskunft. Zehn Minuten später lag seine Hand auf ihrer. Sein Daumen glitt sacht über ihr Handgelenk und fand die empfindliche Innenseite. Hilda trank zu schnell, sie fühlte sich berauscht, doch nicht allein vom Alkohol. Die Bedienung brachte einen neuen Drink, und Hildas Lachen wurde lauter. Ihre Freundin kam mit dem anderen Italiener zurück und kniff unauffällig ein Auge zu. Sie hatten ihre Prinzen gefunden.
Johanna saß in der Küche des Zweizimmerapartments und blätterte im Börsenteil der F.A.Z. Die Macht der Gewohnheit ließ sie immer zuerst diese Seiten aufschlagen, noch bevor sie die Schlagzeilen der Weltpolitik las. Müßig überlegte sie, ob sie jemals wieder mit Geldanlagen zu tun haben würde. Ihr ging flüchtig durch den Kopf, daß sie jetzt ein Vermögen in der Schweiz hatte. Sie hatte in ihrem Job gut verdient, aber soviel Geld auf einmal hatte sie nie besessen. Sie war wohlhabend, Leos letzte Gefälligkeit. Eins Komma zwei Millionen. Geld, an dem Blut klebte. Klingenbergs und Leos Blut. Und das von ihrem Bruder. Als sie schluckte, spürte sie wieder das Brennen im Hals. Eine Erkältung schien sich anzubahnen. Sie starrte aus dem Fenster. Von der Küche aus konnte man in das dürre Geäst einer verschneiten alten Birke blicken. Im Licht der Laternen wirkten die Zweige gespenstisch erstarrt, wie gefroren. In dieser Nacht würden die Außentemperaturen auf minus zwanzig Grad sinken. Johanna konnte sich nur an einen oder zwei Dezembermonate ihrer Kindheit erinnern, in denen es ebenso kalt gewesen war. Die meisten Winter hatte sie anders in Erinnerung. Der Schnee hatte weich und einladend gewirkt, wenn sie zum Spielen nach draußen ging. Sie und Micky zusammen auf einem Schlitten. Sie hielt den kleinen Körper dicht an sich gepreßt, und wenn am Fuß des Hügels die kleine Senke auftauchte, zerriß der helle, entzückte Aufschrei ihres Bruders die Luft neben ihrem Ohr.
Beim Geräusch des Schlüssels in der Eingangstür sah sie automatisch auf ihre Armbanduhr. Fast halb zwei. Sie sprang auf und lief in die Diele. Fabio kam ihr entgegen, Schnee von seiner Jacke klopfend. Sein Gesicht war rotgefroren von der nächtlichen Kälte. Als er Johanna sah, blieb er wie angewurzelt stehen.
»Was hast du mit deinen Haaren gemacht?«
»Fällt dir nichts Besseres ein? Hast du’s oder nicht?«
»Was hast du mit deinen Haaren gemacht?«
»Himmel, du siehst doch, was ich damit gemacht habe, also frag nicht so blöd. Hast du’s jetzt oder nicht?«
»Du hast sie abgeschnitten!«
»Mach doch nicht so ein
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