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Bankgeheimnisse

Bankgeheimnisse

Titel: Bankgeheimnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Sievers
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mußte. Sie fühlte sich nicht länger kalt an, sondern heiß. Zu heiß. »Gina, sie hat Fieber! Hohes Fieber. Sie konnte nicht mehr klar denken. Sie hat Carlo und mich völlig vergessen. Ein Wunder, daß sie überhaupt hierhergefunden hat und nicht zu ihrer alten Wohnung gefahren ist.« Er begrub sein Gesicht in ihren feuchten Haaren. Warum hatte er bei diesem blödsinnigen Unternehmen mitgemacht? Warum hatte er sie nicht einfach gezwungen, mit ihm wegzugehen? Er horchte auf ihren Herzschlag an seiner Brust. Ihre Taille und ihre Hüften waren zerbrechlich und schmal unter seinen Händen. Sie war so klein und so zart. Wieviel würde sie noch ertragen können, bevor sie endgültig zerbrach? Vielleicht war es schon passiert. Vielleicht war diese neue Bedrohung das Ende. Fabio fühlte sich plötzlich benommen, unfähig, gegen die dumpfe Ergebenheit anzukämpfen, die ihn gefangenhielt. Er würde sie verlieren und konnte nichts dagegen tun.
    »Fabio, der Arzt wird bald hier sein. Du solltest besser jetzt aufstehen.«
    Er wollte es tun, aber ihm fehlte die Kraft dazu. Er atmete an ihrem Hals, sog den Geruch ihrer Haut ein. Ihm war, als hätte er sie schon verloren. Vielleicht würde er sie nie mehr so halten können. Er wollte sie nicht loslassen, noch nicht.
    Johanna, die jetzt reglos in seinen Armen lag, begann mit monotoner Stimme zu phantasieren. »Konnte nicht hingehen. Keine Blumen auf sein Grab.... ist so kalt geworden, er wird frieren. Ja, Mami, ich hab ihm die warme Jacke angezogen. Ich gehe mit ihm. Ich lasse ihn nicht allein.«
    Fabio starrte die Frau neben sich an. Ihr Gesicht war hochrot und glühendheiß vor Fieber. »Sie stirbt!«
    »Rede keinen Unsinn! Der Arzt wird ihr helfen!« Doch Ginas Gesichtsausdruck strafte ihre resoluten Worte Lügen. Ihre Wangen waren tränenüberströmt, und Fabio erkannte, daß auch sie wenig Hoffnung hatte. Er wußte, daß sie beide an dasselbe dachten. Damals war er vier Jahre alt gewesen, doch jener Tag vor siebenundzwanzig Jahren in Neapel hatte sich wie der Todestag seines Vaters unauslöschlich in seine Seele eingebrannt. Es war ein Wintertag gewesen, fast so kalt wie dieser. Das war der Tag gewesen, als sie ihren gemeinsamen Bruder begraben hatten. Er hatte Marco geheißen, wie sein Vater, und er war sechs Jahre alt geworden, eine Woche bevor er an Lungenentzündung starb. Der Arzt hatte dem kleinen Jungen nicht helfen können.
    »Micky... Bitte... Blumen... Er soll doch Blumen von mir haben... so kalt...«
    »Ich schwöre dir, ich lege morgen Blumen auf sein Grab«, weinte Gina. Sie kniete sich vor das Bett und umklammerte Johannas fieberheiße Hände.
    Fabio hörte die rauhen Schluchzer seiner Schwester, außerstande, sich zu rühren. Er stand erst auf, als der Arzt klingelte, zog rasch frische Jeans und einen trockenen Pullover über und fuhr sich mit gespreizten Fingern durch die zerwühlten Haare.
    Der Arzt kam, ein Mann um die Fünfzig mit rundem Rücken und geplatzten Äderchen an den Nasenflügeln. Er wirkte übernächtigt und durchgefroren, aber er schien nach einem flüchtigen Blick auf die Kranke nicht allzu beunruhigt. Vor der Untersuchung erledigte er die Formalitäten. Fabio erfand aus dem Stehgreif einen falschen Namen und gab Johanna als seine Cousine aus Italien aus. Die Rechnung wollte er sofort bar bezahlen. Der Arzt nahm es achselzuckend zur Kenntnis, setzte sich aufs Bett und schlug die Decke zur Seite. Fabio und Gina standen an der gegenüberliegenden Seite und starrten auf Johanna herab, als läge sie in ihrem Totenbett. Die Resignation war förmlich mit Händen zu greifen. Gina schluchzte unterdrückt. Der Arzt hob irritiert den Kopf und musterte den Mann und die Frau auf der anderen Seite des Bettes, dann setzte er sein Stethoskop an Johannas Brust und horchte. Mit sanftem Zureden bat er Johanna, den Mund zu öffnen, doch sie preßte die Lippen zusammen und wandte den Kopf zur Seite. »Ich glaube, sie versteht mich nicht. Vielleicht können Sie Ihrer Cousine mal auf italienisch sagen, daß sie den Mund aufmachen muß.«
    Fabio und Gina wechselten Blicke. Fabio straffte sich und schaute dem Arzt gefaßt in die Augen. »Besteht Hoffnung?«
    Der Arzt seufzte. »Ich würde sagen, die Chancen stehen nicht schlecht, sie sind sogar außerordentlich gut, praktisch hundert Prozent, nämlich dann, wenn ich ihr die Nase zuhalte. Das löst sofort den gewünschten Reflex aus. Also, was ist jetzt?«
    Gina heulte laut auf, das Gesicht in den Händen vergraben.

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