Bankgeheimnisse
Es würde alles wieder gut werden! Kein Arzt würde so am Sterbelager einer jungen Frau reden!
Fabio setzte sich an Johannas freie Seite. »Mach den Mund auf, sofort!« herrschte er sie an.
Johanna blinzelte. »Ich habe darüber nachgedacht, weißt du. Es würde mir nicht gefallen, wenn du nicht mehr da bist. Ob das Liebe ist?« Sie öffnete widerspruchslos den Mund und duldete, daß der Arzt mit einem Spatel ihre Zunge niederdrückte.
»Sie spricht ja ganz ordentlich Deutsch«, brummte der Arzt.
»Italienisch lerne ich auch noch«, nuschelte Johanna. »Fabio bringt es mir bei.«
Der Arzt betastete Johannas Hals, und als sie wimmerte, drehte er sie vorsichtig um und horchte ihren Rücken ab. Anschließend warf er den Spatel auf den Nachttisch und stand auf. »Wie ich mir dachte. Schon der fünfte Fall diese Nacht.«
Fabio stand ebenfalls auf. Die Erleichterung ließ seine Beine so stark zittern, daß er sich am Bettpfosten abstützen mußte. »Der fünfte Fall von was?«
»Streptokokken.«
»Ach so. Äh, was?«
»Streptokokken. Scharlach. Natürlich bringt nur ein Abstrich letzte Sicherheit, aber die Anzeichen sind eindeutig. Ich schreibe ein Rezept über ein Antibiotikum. Sie muß es zehn Tage lang einnehmen. Und etwas gegen das Fieber und die Schmerzen. Sie sollte ein paar Tage im Bett bleiben. Aber nicht nackt. Ziehen Sie ihr um Himmels willen ein Nachthemd an.« Er kritzelte etwas auf einen Rezeptblock. Als Fabio ihm Geld aufdrängen wollte, kratzte er sich am Kopf. Er hatte weder eine Gebührentabelle noch Wechselgeld dabei. Schließlich nahm erwiderstrebend die hundertfünfzig Mark, die Fabio ihm hinstreckte, und murmelte dabei etwas von einer etwaigen Restrechnung.
Nachdem der Arzt die Wohnung verlassen hatte, wartete Fabio zwei Minuten, dann rannte er im Eiltempo hinaus, jagte die Treppen hinunter in die Tiefgarage, sprang in den Wagen und fuhr zur nächsten Apotheke. Dort entnahm er dem Wochenplan an der Eingangstür, welche Apotheke in der Gegend Notdienst hatte. Zwanzig Minuten später stand er mit den Medikamenten an Johannas Bett. Gemeinsam mit seiner Schwester flößte er ihr die vorgeschriebene Dosis des Antibiotikums ein und verabreichte ihr ein Fieberzäpfchen.
»Wie geht es jetzt weiter?« Gina kniete wieder neben dem Bett, mit sanften Fingern über Johannas Stirn streichend.
»Ich habe über verschiedene Möglichkeiten nachgedacht und bin immer wieder zum selben Ergebnis gekommen.«
Sie blickte fragend auf, und er sagte ihr, wozu er sich entschlossen hatte.
Als seine Schwester sich zum Schlafen ins Wohnzimmer zurückgezogen hatte, blieb er still auf der Bettkante sitzen und beobachtete, wie die ungesunde Röte langsam aus Johannas Wangen wich. Ihr Fieber sank innerhalb der nächsten Stunde spürbar. Die quälende Unruhe ging über in einen tiefen Schlaf. Fabio streckte sich an ihrer Seite aus, sein Gesicht ihr zugewandt, und starrte sie an. Er lauschte ihren Atemzügen und tastete nach ihrem Herzschlag. Irgendwann vertrieb eine bleiche Dämmerung die Schwärze vor den Fenstern, und erst jetzt war Fabio restlos überzeugt, daß Johanna es überstehen würde. Sie war nicht einmal so krank, daß sie in ein Krankenhaus gemußt hätte. Diese Erkenntnis bewirkte, daß er fast augenblicklich in bewußtlosen Schlaf fiel.
Johanna erwachte gegen Mittag mit quälendem Durst. Als sie versuchte, sich aufzusetzen, spürte sie das Gewicht auf ihrem Brustkorb. Es war eine Männerhand. Sie rutschte durch die Bewegung herunter, und Johanna versuchte erneut, sich aufzurichten, aber ihre Glieder versagten ihr den Dienst. Sie wandte den Kopf und sah Fabio, der vollständig angezogen neben ihr im Bett lag und schlief. Sie streckte die Hand aus und berührte eine Locke an seiner Schläfe. Er stöhnte kurz, erwachte jedoch nicht. Johanna rekonstruierte mühsam, was sich gestern nach ihrem Filmriß ereignet hatte. Sie erinnerte sich vage an den Wachmann und das fehlende Graffito. An den Pfeiler oben an der Rampe zur Tiefgarage. Dann kam nichts mehr, nur noch schwache Erinnerungsfetzen von Hitze, entsetzlicher Hitze, und von Schmerzen, so stark, daß sie geglaubt hatte, sterben zu müssen. Ihr war bewußt, daß sie ziemlich krank war. Sie fühlte sich schwach wie ein neugeborenes Kind. Bereits die Bewegung, mit der sie ihre Hand gehoben und Fabio berührt hatte, war eine ungeheure Anstrengung gewesen. Auf dem Nachttisch neben dem Bett erkannte sie Medikamente, und im gleichen Augenblick wurde ihr klar, daß
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