Bankgeheimnisse
Fingerspitzen über die Glasplatte auf dem Bild. Dann stand er auf und ging zur Tür. Er schloß sie auf und rief seine Frau. Sie kam Sekunden später, noch vollständig angezogen, Angst im Blick. »Weck den Jungen auf«, sagte er ruhig.
»Aber...«
»Stell jetzt keine Fragen. Weck ihn auf und schick ihn zu mir. Pack für uns drei das Nötigste ein. Ich rufe die Kinder an.«
»Mein Gott, sag mir doch, was passiert ist!«
»Es ist Krieg.« Er nahm ihre kalten Hände. »Ja, es ist Krieg, und wir stecken mitten drin, und wenn wir jetzt nicht um unser Leben rennen, sind wir die ersten, die es erwischt.«
Strass schloß die Wohnungstür auf, betrat den engen Flur und drückte die Tür rasch wieder hinter sich zu, um den Schwall eisiger Kälte abzuschneiden. Der Unterschlupf befand sich im Parterre einer langgestreckten Wohnanlage in Ginnheim, einem Stadtteil im Nordwesten Frankfurts. Jorge und Chen waren nicht da. Er wußte, daß sie vor fünf Minuten weggefahren waren, denn er hatte seit Stunden draußen in seinem Wagen gesessen und darauf gewartet, an einer Stelle, wo sie ihn nicht sehen würden, wenn sie herauskamen. Die Frau hatte lange durchgehalten, viel länger, als er geglaubt hatte. Sie hatten sie mittags um eins hergebracht, und jetzt war es fast drei Uhr nachts. Strass hielt sich nicht damit auf, den Parka auszuziehen, sondern ging sofort eilig in das größere der beiden Zimmer. Sie lag auf dem Fußboden, nackt, geknebelt, die Hände hinter dem Rücken gefesselt. Ihr Gesicht war bis zur Unkenntlichkeit zerschlagen.
Strass widerstand dem Drang, sich zur Seite zu drehen und zu übergeben.
»Ich habe ein Magengeschwür«, murmelte er. »Ich kann das nicht mehr lange mitmachen. Ich muß damit aufhören, oder ich werde nie wieder richtig essen können.«
Er kniete sich neben ihr nieder, wälzte sie herum und versuchte mit klammen Fingern, die Fesseln zu lösen. Ihre Handgelenke waren aufgeschürft und blutig, ihr Rücken und ihre Seiten mit Spuren von Schlägen übersät. Einige der größeren Flecken begannen bereits, sich dunkel zu verfärben.
Die Fesseln saßen zu stramm, er schaffte es nicht, sie aufzuknoten. Fluchend stemmte er sich wieder hoch, ging in die winzige Küche und durchwühlte die Schubladen nach einem halbwegs scharfen Messer. Er fand eine Schere und versuchte damit sein Glück. Als er die Nylonschnur endlich mehr zersägt als durchgeschnitten hatte, drehte er sie wieder auf den Rücken. Ihre Augen waren geschlossen, und sie atmete flach und stoßweise durch ein fast zugeschwollenes Nasenloch. Das andere war von Blut verkrustet. Es war ihr Glück, daß sie nicht bei Bewußtsein war. Vermutlich wäre sie anderenfalls schon unter dem Knebel erstickt. Strass löste eine Ecke des breiten Leukoplaststreifens und zog ihn dann mit einem Ruck weg. Sie begann sofort zu stöhnen und zu wimmern. Strass gab ihr mit der flachen Hand einige kurze, leichte Schläge auf die Wangen, um sie zu Bewußtsein zu bringen. Sie wimmerte lauter, als er die Stelle unter ihrem rechten Auge traf, wo die Haut aufgeplatzt war. Plötzlich flatterten ihre Lider, und sie schlug die Augen auf. Die Pupillen waren unnatürlich geweitet und glänzten stark. Ihre verschwollenen Lippen bewegten sich hilflos, und sie sah durch ihn hindurch. Dann fielen ihr die Augen wieder zu, sie verlor erneut das Bewußtsein.
»Auch das noch«, sagte er. Er zerrte sie hoch und ignorierte ihre gequälten Laute, während er sie unter den Achseln packte und ins Bad schleifte, wo er sie vorsichtig wieder zu Boden gleiten ließ und sie in eine sitzende Haltung brachte, an den Rand der Wanne gelehnt. Er nahm ein Handtuch, legte es ins Waschbecken und ließ kaltes Wasser darüberlaufen.
»Hören Sie zu. Es wird nicht funktionieren, wenn Sie nicht laufen können. So wie vorhin wird es nicht klappen. Sie sind nicht gerade ein Fliegengewicht, und ich kann Sie nicht tragen. Stützen ja, aber nicht tragen. Wenn Sie leben wollen, müssen Sie laufen. Weglaufen. Haben Sie das verstanden?« Er kniete sich neben sie, wusch ihr mit dem nassen Handtuch das Blut vom Gesicht und glättete mit den Fingern linkisch ihre Haare.
»Wir haben etwas Zeit, aber höchstens eine halbe Stunde. Länger werden die zwei nicht brauchen, um nachzuschauen, ob Sie die Wahrheit gesagt haben.« Er wuchtete sie wieder hoch und schleppte sie zurück in das Zimmer, wo er sie auf ein abgeschabtes, fleckiges Sofa sinken ließ. Er schaute sich suchend um, bis er ihre Sachen sah, die in
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