Bankgeheimnisse
Ungerechtigkeit. Nein, ich drücke mich falsch aus. Das Leben ist weder gerecht noch ungerecht. Es ist ganz einfach unberechenbar. Und es hat auch nichts mit Gerechtigkeit zu tun, daß ich ihnen, das Geld abknöpfen will. Ich will es ihnen dadurch heimzahlen. Also Rache, nicht Gerechtigkeit.«
»Heimzahlen? Das kann nicht dein Ernst sein!«
»Doch. Das war es, was ich neulich gemeint habe, als ich sagte, daß sie ohne Geld nichts sind. Jetzt sind sie reich. Wenn das Geld weg ist, sind sie arm. Sie sind arm und werden gejagt.«
Fabio grinste, doch seinem Lächeln fehlte jede Spur von Heiterkeit, es wirkte bösartig. »Was für eine Strafe!« Seine Stimme triefte vor Sarkasmus.
»Ich sehe ein, daß dir das nicht reicht. Ich hätte sie auch lieber hinter Gittern.«
»Ich nicht«, sagte er gleichmütig.
»Ich verstehe.«
Er schwieg, und sie erkannte, daß er nicht dazu aufgelegt war, weiter mit ihr zu reden. Sie fuhren etwa eine Stunde, stumm, ohne sich anzusehen. Jeder hing seinen Gedanken nach. Irgendwann hörte es auf zu schneien, und am Horizont wurden die Schatten von Bergkämmen im Morgendunst sichtbar. Fabio steuerte den Wagen auf einen Rastplatz.
»Was hast du vor?«
Er bremste an einer der Zapfsäulen. »Tanken. Telefonieren.«
»Laß uns Kaffee trinken«, sagte sie spontan. Er schüttelte den Kopf und stieg aus. Nachdem er getankt hatte, setzte er sich wieder hinter das Lenkrad und fuhr den Wagen auf einen der Parkplätze vor dem Gebäude, wo er ausstieg. Als er zum Eingang hinüberging, hinterließen seine Turnschuhe schwarze Rillenmuster auf der dünnen Schneeschicht. Johanna legte den Kopf zurück. Sie spürte, wie sie eindöste. Die erhitzte Luft strömte aus den Lüftungsschlitzen der Heizung, fächelte über ihr Gesicht und trieb ihr Träume von einer anderen Welt zu. Diesmal waren die Traumbilder freundlich, es gab keine Bestien mit scharfen Krallen und Zähnen, nur tröstliche Wärme. Jemand war da und hielt sie, gab ihr Kraft und brachte sie zum Lachen. Die Sonne ging über der schlafenden Stadt auf, ließ staubflimmernde Goldfinger über die Dächer tanzen. Einer der Finger kitzelte sie spielerisch am Bauch, wärmte ihn und brachte etwas Weißes darin zum Flattern. Sie legte entzückt beide Hände darüber und fühlte das schwache, schnelle Zucken des kleinen Herzens. Tränen liefen über ihre Wangen, und als sie auf ihre Brüste fielen, wurden Perlen daraus, die in einer schimmernden Linie zu ihrer Mitte hinabliefen.
Als Fabio die Tür öffnete und einstieg, schrak sie hoch, noch gefangen in der Welt dieses wunderbaren Traums. Ihre Hände lagen auf ihrem Bauch, und sie fühlte die Wärme unter ihren Fingern. »Fabio?«
Er saß aufrecht da, doch seine Augen waren geschlossen, und sein Gesicht war wie in Krämpfen verzerrt. Er hatte die Hände zu Fäusten geballt.
»Fabio!« Sie berührte zögernd sein Handgelenk. Zu ihrer Überraschung wandte er sich ihr sofort zu und schlang seine Finger um ihre. Seine Wangen waren naß.
»Gina?« fragte sie angstvoll.
Er stieß ruckartig die Luft aus. »Sie lebt. Sie lebt !« Er atmete wie nach einem langen Lauf und drückte ihre Hand so fest, daß sie aufstöhnte.
»Wo ist sie? Wie geht es ihr?«
»In einem Krankenhaus in Frankfurt. Sie ist verletzt, aber sie wird es überstehen.«
Johanna wartete stumm.
»Ein Autofahrer hat sie gestern nacht auf einer Landstraße im Taunus aufgelesen, halb totgeschlagen und fast erfroren«, sagte er mühsam. »Sie haben... sie gefoltert und vergewaltigt.«
»Mein Gott!«
»Sie haben ihr ein Wahrheitsserum gegeben, und sie hat ihnen verraten, wohin wir fahren.«
Johanna wurde bleich. »Dein Schwager... du mußt ihn sofort anrufen, damit...«
»Ich habe gerade eben mit Ernesto telefoniert. Was glaubst du, von wem ich weiß, was ich dir gerade erzählt habe?«
»Ist er nach Frankfurt geflogen?«
»Nein. Er wird es sobald wie möglich tun. Wenn er seine Geschäfte erledigt hat.«
Johanna runzelte befremdet die Stirn. »Seine Geschäfte sind ihm wichtiger als seine Frau?«
»Normalerweise nicht, aber in diesem Fall schon.« Er suchte ihren Blick, und sie verlor sich in dem hellen Leuchten seiner Augen. Johanna wußte, daß später wieder Rachsucht und Haß seine Gefühle bestimmen würden, dennoch genoß sie diese wenigen Momente, in denen die Freude, daß Gina lebte, alles andere überwog. Es schien beinahe so, als sei durch dieses Überleben die Rotation der Todesspirale verlangsamt, ja vielleicht sogar zum
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