Bankgeheimnisse
Neapel, das ich liebe. Eines Tages zeige ich dir alles. Meine Stadt. Das Centro historico. Wir gehen zur Via Toledo und von dort bis zur Piazza Giuseppe Garibaldi. Dann hinüber zum Hafen. Das ist Neapel. Da habe ich als Junge in den Docks gesessen und Netze geflickt und morgens nach Sonnenaufgang beim Aufbau der Marktstände geholfen. Im Sommer saß ich zwischen herausgehängter Wäsche und Obstkisten, und manchmal ging ein Fensterladen auf, und eine der Frauen gab mir ein Stück sfogliatella, noch heiß vom Ofen. Die Händler knatterten auf ihren Rollern durch Gassen, die kaum zwei Meter breit sind. Ich mußte als Kind oft die Füße einziehen. Ich habe ihnen zugesehen bei ihren Geschäften, war dabei, wie sie hökerten und klauten und verkauften. Irgendwann konnte ich es selbst. Meine Decke lag vor mir auf dem Boden. Darauf Louis Vuitton, Lacoste und Gucci, Rolex und Ray Ban, antike Bronzen und klassizistische Figuren. Marlboro und Lucky Strike.«
Johanna hörte ohne sichtbare Emotionen zu. Als er schwieg, betrachtete er sie abwartend von der Seite. »Willst du, daß ich es dir irgendwann zeige, mein Neapel?«
Sie erkannte die unterschwellige Sehnsucht hinter seinen Worten und nickte leicht. »Ja. Irgendwann. Wie bist du zum Kochen gekommen?«
»Dort in der Via Toledo gab es ein Lokal. Es hieß Forchetta. Der Koch hieß Bruno und war ein zahnloser alter Bauer aus der Campania. Wenn ich meine Geschäfte erledigt hatte, durfte ich ihm zusehen. Ich habe gut aufgepaßt. Von ihm habe ich meine Rezepte für Spaghetti con cozze o vongole und Gnochetti al salmone .«
» Und deine Schwester? Wußte sie, was du tagsüber so machtest? Ich meine, bevor du zu Bruno gingst?«
Er hob die Schultern. »Sicher. Alle Jungs taten es. Zumindest alle, die ich kannte. Ich habe gearbeitet, und Gina hat gearbeitet. Im Winter hat sie genäht und für andere Leute gewaschen, im Sommer hat sie in Lokalen ausgeholfen, als Bedienung oder Köchin. Manchmal hat sie sogar neben mir auf der Piazza gesessen und Touristen aus der Hand gelesen. Einmal in der Woche haben wir uns freigenommen und sind rausgefahren ans Meer. Wir haben den ganzen Tag im Sand gelegen und gelesen und Radio gehört. Zwischendurch waren wir im Meer schwimmen.«
»Und wie seid ihr beide hierhergekommen?« Johanna wies mit einer ausholenden Geste aus dem Fenster. Das Stadtbild hatte sich geändert. Sie durchfuhren ein nobles Viertel mit weitflächigen Parkanlagen und eleganten Renaissance- und Barockvillen, die versteckt hinter hohen schmiedeeisernen Zäunen und efeubewachsenen Mauern lagen. Fabio bremste und steuerte den Wagen an den Straßenrand.
»Das ist eine andere Geschichte, für die wir jetzt keine Zeit haben.« Er nahm ihr Kinn und bog sanft ihren Kopf zu sich herum. »Sieh mich an, principessa .«
Sie gehorchte leicht verwirrt. »Sind wir da?«
»Beinahe. Ich möchte dir jetzt etwas sagen, und ich bitte dich, daß du genau zuhörst. Du wirst vielleicht manches sehen und hören, was dir eigenartig erscheint. Aber du wirst schweigen und dich hinter mir verstecken. Du redest nur, wenn du gefragt wirst. Du tust, was ich dir sage.«
»Sagte der Mädchenhändler zu der Jungfrau, bevor er sie als Sklavin auf den Markt schleppte.«
Er nahm ihre halb ärgerliche, halb belustigte Äußerung kommentarlos zur Kenntnis und öffnete die Fahrertür. »Du hast mich verstanden«, sagte er langsam und akzentuiert. Bevor er sich abwandte, sah sie in seinen Augen einen Ausdruck, der ihn seltsam fremd erscheinen ließ. Eisige Kälte paarte sich mit Kompromißlosigkeit. Er wirkte plötzlich unerbittlich, fast bösartig.
Er stieg aus und hob die Hand. Johanna beobachtete, wie eine lange Limousine eines amerikanischen Fabrikats, die in etwa fünfzig Metern Entfernung auf der gegenüberliegenden Straßenseite parkte, anfuhr und in ihre Richtung rollte. In Höhe des BMW blieb sie stehen, mit laufendem Motor. Hinter den dunkel getönten Scheiben waren keine Insassen auszumachen. Johanna hörte ein Geräusch und drehte sich um. Fabio hatte den Kofferraum geöffnet, die beiden Reisetaschen herausgenommen und brachte sie nun über die Straße zu dem amerikanischen Wagen, dessen Kofferraum im selben Moment aufsprang, als Fabio ihn erreichte. Er warf die Taschen hinein und drückte den Kofferraumdeckel wieder ins Schloß. Anschließend kam er zurück zum BMW und öffnete die Tür auf der Beifahrerseite. »Komm.« Er nahm ihren Arm und brachte sie hinüber zu der dunklen Limousine, zog
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