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Bankgeheimnisse

Bankgeheimnisse

Titel: Bankgeheimnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Sievers
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Teppichboden der Kabine ab. Die Scherben zerschnitten seine Hände. Blut floß in den Teppich und tränkte ihn. Ernsts Züge verschwammen vor Amerys Blicken zu einer konturlosen Masse. Die Augen veränderten ihre Farbe, waren nicht länger grau wie erloschene Kohle, sondern glühend wie flüssiges Silber. Genau wie Jorges rechtes Auge, dachte Amery mit eigentümlicher Belustigung. Nicht nur ein, sondern zwei böse Augen. Der böse Blick. Amery hörte ein lautes, schrilles Lachen. Erst nachdem es aufgehört hatte, wurde er sich bewußt, daß er selbst es war, der gelacht hatte.
    »Wie schön, daß Sie sich so gut amüsieren, mein Freund.«
    Amery konnte nichts erwidern. Seine Zunge war zu einem Ballon angeschwollen. Er sah, daß Jorge und Chen ihre Karten beseite gelegt hatten und immer noch zu ihm herüberstarrten. Das Ticken des Sekundenzeigers dröhnte in seinen Ohren. Er blickte auf seine Hände. Das Blut strömte aus den Schnittwunden in seinen Handtellern und färbte seine Jeans rot.
    »Sie haben sich verletzt«, sagte Ernst mit weicher Stimme. »Doch das macht nichts. Sie müssen ja keinen Abschiedsbrief schreiben.« Die Krallennägel scharrten über das Glas und übertönten quälend laut das Ticken der Uhr. »Ich versuche mir vorzustellen, was Sie wohl geschrieben hätten, Amery. Ob Sie auch so eine Chuzpe gehabt hätten wie Klingenberg? Ich meine, aus einem Abschiedsbrief ein Signal zu machen, einen Hinweis, daß dies alles andere als Selbstmord ist? Ich würde es Ihnen Zutrauen. Schließlich waren Sie der einzige von uns allen, dem es aufgefallen ist. Ich meine, daß der Brief eine tiefere Bedeutung hatte. Obwohl — das könnte man noch auf Ihre besonderen Theaterkenntnisse zurückführen. Doch auch so sind Sie ziemlich gewitzt. So gewitzt, daß die Stasi es für nötig hielt, Ihre Bühnenlaufbahn zu beenden und Sie für zwanzig Jahre unter Verschluß zu halten.«
    Amery spürte die Enge in seiner Kehle. Die Bänder um seine Brust. Sie hatten ihn wieder ans Bett geschnallt und kamen mit der Spritze, die ihn zum Schweigen bringen sollte. Die Stimme des Arztes, sanft und doch voll abgrundtiefer Bosheit. Er blickte hoch und suchte seinen Blick. Doch der Arzt war nicht da. Nur Ernst. Ernst nickte lächelnd. »Oh, ich weiß, wie gewitzt Sie waren. Sie haben für den Klassenfeind spioniert, so war es doch. Ein kleiner, dreckiger BND-Spitzel.«
    Amery wollte hervorstoßen, daß alles Lüge sei, aber nur ein unartikulierter Laut kam über seine Lippen.
    »Streiten Sie es nicht ab«, wies ihn Ernst streng zurecht. Dann glättete ein erneutes Lächeln seine verkniffenen Züge. »Sie müssen wissen, daß ich einer derjenigen bin, die damals für Ihre... Sicherstellung gesorgt haben.«
    Amery hörte es wie durch einen dichten Vorhang. Seine Seele trieb vor ihm her wie ein huschender Falter, und er streckte beide Hände danach aus, um sie zu fassen. Er verlor das Gleichgewicht, fiel aus der Hocke auf die Seite. Splitter des herabgefallenen Glases bohrten sich durch das Poloshirt, gruben sich in das Fleisch auf seinen Rippen, schlitzten es auf. Er schrie vor Schmerz.
    Ernst fuhr unbeeindruckt fort: »Natürlich war es ein höchst geschickter Schachzug von mir, als Ihr Befreier aufzutreten, Sie zu retten, nachdem doch die Ärzte Sie schon vor Jahren aufgegebenhatten.« Seine Stimme triefte vor falschem Mitgefühl. »Mein Gott, was man Ihnen all die Jahre lang angetan hat!«
    Amery wollte herausschreien, daß er es geahnt hatte, daß er Gerüchte gehört hatte über Ernst, daß er von Anfang an die Version des rettenden Engels angezweifelt hatte. Aber er brachte kein einziges Wort heraus. Er glotzte auf eine Scherbe, die dicht vor seinem Auge lag. Sie hatte eine seltsame Form, wie ein Teller, von dem spitze Zacken nach oben wuchsen. Er starrte sie verwundert an, sekundenlang. Dann wurde ihm klar, daß es der Boden des Glases war, das ihm aus der Hand gefallen war. In diesem plötzlichen Augenblick der Klarheit erkannte er, daß etwas in dem Drink gewesen war. Er suchte Ernsts Blick, und was er darin fand, ließ ihn nach Luft ringen.
    Ernst stand auf und kam auf ihn zu. Er hatte etwas in der Hand. »Ich sehe, daß Sie wieder keine Luft bekommen. Sie müssen inhalieren.« Er beugte sich hinunter, und eine Strähne seines dünnen Haares fiel nach vorn.
    Amery blinzelte orientierungslos, bis er den Gegenstand fokussiert hatte. Es war sein Inhalator, von dem er geglaubt hatte, ihn irgendwo auf der Reise von Frankreich nach

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