Bankgeheimnisse
sie dabei den Kopf in den Nacken legte, das Aufleuchten ihrer Augen. Nach dem gewaltsamen Tod seines Vaters vor zwanzig Jahren hatte er erst nach vielen Monaten angefangen, wieder zu leben. Das war in dem Augenblick gewesen, als seine Schwester das erste Mal wieder gelacht hatte. Fabio musterte sie, während sie zu seinem Wagen gingen. Sie war mittelgroß und vollschlank; ihr langes Haar, ebenso dunkel wie sein eigenes, war im Nacken zu einem Knoten zusammengefaßt. Die weichen Konturen ihres Gesichts ließen sie jünger wirken. Ihr Kostüm sah so aus, als hätte es ein kleines Vermögen gekostet, ebenso wie der weinrote Lederkoffer, den sie vorhin so achtlos fallen gelassen hatte. Man konnte seinem Schwager Ernesto viel nachsagen, aber er ließ sich in Gelddingen niemals lumpen. Er sorgt für die Seinen, dachte Fabio zynisch. Er ertappte sich dabei, wie er an Johanna dachte. Und an Leo und seine Art, für sie zu sorgen.
Er warf Ginas Koffer auf den Rücksitz des Karmann Ghia, den er vor dem Ankunftsterminal geparkt hatte. Das Verdeck hatte er am frühen Morgen geschlossen, denn es war einige Grad kälter als am Vortag. Fast über Nacht war die Witterung herbstlich geworden. Er erinnerte sich, daß Johanna vorhin eine Wolljacke in der Farbe ihres Kostüms über dem Arm getragen hatte. Sein Gesicht verzog sich vor unterdrücktem Ärger, als ihm unvermittelt bewußt wurde, wie sie seit Monaten seine Gedanken und Gefühle beherrschte, ohne daß er etwas dagegen tun konnte.
»Was ist los mit dir?« fragte Gina besorgt. »Du bist plötzlich so blaß. Fühlst du dich nicht gut?«
»Mir geht’s ausgezeichnet«, wehrte er mit erzwungener Fröhlichkeit ab. »Es ist bloß... das hier. Sieh nur, ich habe einen Strafzettel kassiert. Ich habe zu lange hier geparkt.« Er zog den zusammengefalteten Zettel unter dem Scheibenwischer hervor und schob ihn nachlässig in die Hosentasche. Er öffnete seiner Schwester die Beifahrertür und wartete, bis sie eingestiegen war. Sie klappte sofort den Innenspiegel auf und brachte ihr Make-up in Ordnung. Fabio schwang sich hinter das Lenkrad, startete den Motor und fädelte sich in den Verkehr in Richtung Flughafenausfahrt ein. Gina sah sich mit glänzenden Augen um und atmete tief. »Geschafft. Ich habe es mal wieder geschafft. Vier Wochen, Fabio. Vier Wochen! Ist das nicht absolut wundervoll?«
»Ja, das ist es. War es diesmal schwieriger als sonst?«
»Nicht wirklich. Es ist nie leicht. Du weißt, wie er ist.«
»Ja. Ja, ich weiß genau, wie er ist. Ernesto der Große. Unumschränkter Herrscher über sein kleines Reich. Niemand kommt ungefragt in seinen Dunstkreis. Und niemand entfernt sich ohne seine Erlaubnis daraus.« Fabio beschleunigte den Karmann und überholte einen Laster. Der Verkehr auf der Autobahn war wie immer um diese Tageszeit lebhaft. Er blieb auf der linken Fahrspur. Gina sah die Anspannung in den Zügen ihres Bruders. »Eines Tages mache ich dich zur Witwe.« Er sagte es leichthin, doch sie hörte den mühsam unterdrückten Haß in seiner Stimme. »Das meinst du nicht wirklich«, erwiderte sie nachsichtig. »Er ist mein Mann, Fabio. In guten wie in schlechten Tagen.«
»Er hält dich gefangen.«
»Er liebt mich.«
»Das ist keine Liebe. Das ist Besitzgier, nichts anderes. Ja, er ist besitzgierig, was dich betrifft, so wie er mit allem ist, was ihm gehört. Er hat einen Elfenbeinturm um dich herum gebaut und hält dich darin wie ein seltenes Tier gefangen. Ab und zu kommt er, schließt die Tür auf und erfreut sich an seinem Besitz. Dann sperrt er wieder zu und wirft die Schlüssel weg.«
»Du bist verbittert. Er läßt mich doch zu dir, oder nicht?«
»Weil er weiß, daß ich ihn sonst töten würde.«
»Du redest Unsinn. Ich weiß, du bildest dir ein, ihn zu hassen, seit du mit ihm gebrochen hast. Aber vergiß nicht, er liebt dich wie einen Sohn. Immer noch. Du hättest sein Sohn sein können. Er hatte dich ausersehen, seine Nachfolge anzutreten.«
»Rede mir nicht davon«, stieß er mit zusammengebissenen Zähnen hervor.
»Er möchte immer noch, daß du zurückkehrst«, fuhr sie ruhig fort. »Du mußt nicht mehr für ihn arbeiten, wenn du nicht willst.«
»Er hat meinen Vater umgebracht.«
»Das war ein Unfall. Fabio, es war eine Verkettung unglücklicher Umstände. Um Himmels willen, kannst du denn nicht vergessen und vergeben?«
»Eher schneit es in der Hölle.«
Sie seufzte. »In Anbetracht dessen solltest du dankbar sein, daß ich überhaupt hier
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