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Bankster

Bankster

Titel: Bankster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gudmundson
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Krawatten, die rote.
    Ich hatte schon den Schlafanzug ausgezogen und auf den Sessel geworfen, als ich die Kleidungszusammenstellung im vollen Sonnenlicht auf dem Bett sah, sie plötzlich seltsam fand und mich fragte, was ich mir dabei gedacht hatte, wo doch Jeans und Pulli völlig ausreichten, ich musste niemanden überzeugen, ich würde dorthin gehen, um etwas in Anspruch zu nehmen, das mir in der Not zusteht, und ich würde geradezu verlegen wirken, wenn ich dort völlig unzerknittert und gestylt aufkreuzen würde. Während ich vom Anzug auf eine Jeans umschwenkte, wurde es dunkel im Zimmer. Das ging so schnell, dass ich aus dem Fenster schauen und mich vergewissern musste, dass ich nicht mein Sehvermögen verloren, sondern sich eine Wolke vor die Sonne geschoben hatte. Die Enttäuschung darüber, diesen bleigrauen Koloss am Himmel zu sehen, war so groß, dass ich splitterfasernackt Anzug, Hemd und Krawatte zurück in den Schrank räumte und ins Badezimmer ging.
    Der Spiegel war aufmerksamer als sonst. Ich habe mich schon manches Mal in ihn vertieft, mich sogar aufs Waschbecken gestützt und nach vorne gebeugt, um die Details in diesem bekannten Gesicht besser zu erkennen, oder ich bin zurückgetreten, um den ganzen Körper zu sehen, das dunkle, ungleichmäßig schüttere Fell, habe es aber nie geschafft, durch all das hindurchzuschauen und die Dinge zu sehen, die in meinem Inneren stecken. Ich dachte über meinen Gang zum Arbeitsamt nach und merkte, wie fern er mir war. Taxi oder Bus, Jeans oder der beschissene Anzug, »Guten Tag, ich möchte mich arbeitslos melden« oder »Guten Tag, könnte ich bitte mit dem Arbeitslosenbeauftragten sprechen?« – alles unklar, fremd.
    Da formten sich die Lippen zu einem unerwarteten Lächeln, das bis zu den Augen reichte. Die Haare waren so unglaublich wirr, standen an den Seiten komplett ab und waren auf dem Kopf plattgedrückt, nur eine Clownsnase fehlte noch. Daher suchte ich in Harpas Schublade den knalligsten Lippenstift und malte damit einen kleinen roten Kreis auf den Spiegel. Er war sehr rot, eigentlich perfekt clownsrot, und als ich mich so hingestellt hatte, dass der Fleck mitten in meinem Gesicht war, lachte ich und versuchte, Grimassen zu schneiden, ein verwundertes Gesicht zu machen und dabei eine Schnute zu ziehen, schaffte es vor lauter Freude aber nur einen Sekundenbruchteil.
    Seit Herbst bin ich nicht mehr beim Friseur gewesen, und meine letzte Rasur ist zwei oder drei Wochen her. Der ungepflegte Bart reichte schon über die Oberlippe und ging am Hals nahtlos ins Brusthaar über. Ohne darüber nachzudenken, nahm ich den Rasierer aus dem Ladegerät und schor mich. Zusammenhängende Flocken fielen ins Waschbecken, als würde ich einen Kunstbart abnehmen, den man später wieder ankleben kann. Nachdem ich die Borsten von mir abgeschabt und das Waschbecken ausgespült hatte, drehte ich das Licht über dem Spiegel von Harpas lauschiger Einstellung zu einer wirklich enthüllenden. Dass ich eine so glatte und ebenmäßige Haut hatte, wusste ich nicht mehr. Die kleinen Pickel auf der Stirn waren verschwunden, und ich hatte weder wässernde Mitesser noch offene Poren, sogar die Rötung an den Nasenflügeln war weg – aber ich sah nicht gesund aus. Meine Hautfarbe war merkwürdig, weder weiß noch grau, weder blass noch braun, sondern sehr hell und fast durchsichtig, und ich musste an eine Wachsfigur denken. Um die Augen herum waren graublaue Ringe, die mir ein Kosmetikspezialist aufgemalt haben könnte.
    Ich strich mir übers Gesicht, erst sanft, dann immer fester, bis es sich unter den Händen verformte. Das fühlte sich gut an, und ich hörte erst auf, als sich tote Hautzellen angesammelt und in den Fingern zu dünnen Fäden geformt hatten. Ich krümelte sie ins Waschbecken und sah mir meine Hände im grellen Licht an. Auch sie sahen anders aus, als ich sie in Erinnerung hatte, die Handflächen weicher und die Fingernägel länger – eigentlich wies nur ein zentimeterlanger Füllerstrich auf dem Daumen darauf hin, dass ich nicht monatelang im Koma gelegen hatte. Ich hatte gestern nach dem Schreiben nicht direkt die Kappe getroffen.
    Ohne Bart und im stärkeren Licht war ich ein anderer Clown als vorher. Ich zog mit dem Lippenstift noch einmal die Nase nach, schmierte ihn aufs Spiegelglas und vervollkommnete den Kreis mit der Spitze der Nagelfeile. So glattrasiert und bleich wirkte sie noch röter in meinem Gesicht, ich war ein richtiger Clown, ein kinderlieber

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