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Bannkrieger

Bannkrieger

Titel: Bannkrieger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Frenz
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nicht das leiseste Keuchen.
    Nachdem alle sicher auf dem Dach angelangt waren, warf Zerbe das Seil achtlos zur Seite und wies ihnen den Weg ins Innere. Der fünf Ellen breite, aber nur eine Elle hohe Einstieg bedeutete keine große Mühe. Sie waren Iskander, keine Baroser, und trugen nicht so viel Speck auf den Rippen, dass einer stecken geblieben wäre. Mit den Füßen voran schlüpften sie nacheinander durch die offene Scharte.
    Kurz bevor er den anderen folgte, sah Alvin auf einem der Nachbardächer eine schemenhafte Bewegung, kaum mehr als ein Schatten in der Dunkelheit, der sich genauso schnell wieder auflöste, wie er Formen angenommen hatte. Alvin maß dem keine große Bedeutung bei, denn er war davon überzeugt, dass Zerbe keinen der auf den Dächern postierten Wächter übersehen hatte.
    Auf der anderen Seite der Scharte ging es fast zwei Mannslängen nach unten. Alvin schabte sich die rechte Hand an einem scharfkantigen Vorsprung auf. Drinnen war es stockdunkel, doch es gab eine Reihe bereitliegender Fackeln, die Zerbe mit Stahl und Feuerstein entzündete.
    Das aufflackernde Licht enthüllte eine massive Wand, in die ab und an faustgroße Luftlöcher eingelassen waren. Der dafür nötige Sandstein war über die Uchte herbeitransportiert worden. Ein rundum laufender Flur führte um den eigentlichen Speicher herum. Zur Vorderfront hin gab es etwas mehr Platz, weil dort eine große Seilwinde war, mit der die angelieferten Wagenladungen in die einzelnen Stockwerke gehievt werden konnten.
    Zwei eiserne Rollen hingen von einem zur Seite geschobenen Schwenkarm. Direkt darunter gähnte ein rechteckiges Loch im Boden, durch das Fässer oder Säcke je nach Bedarf auf- und abwärtsschwebten. Einige leere Schubkarren neben dem Transportschacht vervollständigten das Bild.
    Aber die Krieger, die viele Gefahren auf sich genommen hatten, um in die Stadt des Feindes zu gelangen, interessierten sich für etwas ganz anderes. Sie wollten sehen, ob all die Gerüchte, die über Dagomars Schatzkammer kursierten, wirklich der Wahrheit entsprachen. Beinahe ehrfürchtig traten sie auf die große Tür zu, die das innere Kornhaus verschloss, doch vergeblich versuchten sie einen Blick durch das vergitterte kleine Fenster zu werfen.
    »Lasst mich durch«, forderte Zerbe, »dann öffne ich euch.« Obwohl im Erdgeschoss laufend Schritte und andere Geräusche erklangen, dämpfte er seine Stimme nicht. Die Anwesenheit weiterer Wachen schien ihn nicht zu schrecken.
    Im Schein der Fackeln war zu sehen, wie Zerbe die Seitennaht an seinem rechten Zeigefinger mit einer Messerspitze bearbeitete, bis sie der Länge nach aufplatzte. Zwischen den auseinanderklaffenden Lederflicken drang ein schwarzes Gewimmel hervor, das er gegen das schmiedeeiserne Türschloss presste.
    Einige der Umstehenden gaben angewiderte Laute von sich, während Alvin und Bornus nur ihren Verdacht bestätigt sahen, dass sich die Gestalt des Urkriegers in genau dem manifestiert hatte, was Dagomar und seine Vasallen am meisten auf der Welt fürchteten: gefräßige Schädlinge, die einer guten Ernte noch stärker als Hagel oder Frost zusetzen konnten.
    In dem wuchtigen Schloss, das man ansonsten nur mit zwei Schlüsseln öffnen konnte, hörte man es schaben und klacken, dann sprang der Riegel zurück.
    Zerbe stieß die Eichentür auf und ging voran, alle anderen drängten hinterher. Schon nach wenigen Schritten bot sich den Männern ein atemberaubendes Bild. Denn vor ihnen stapelten sich nicht etwa Tonnen und Säcke, nein, vor ihnen erstreckte sich ein großes, bis in das daruntergelegene Stockwerk reichendes Becken, das bis zum Rand mit wunderbar gelb glänzenden Körnern gefüllt war. Mit dem ganzen Getreide hätte man so viele Brote backen können, dass sie, aneinandergelegt, von Greifenstein bis Iskan reichten.
    Alvin spürte, wie ihm der Mund trocken wurde.
    Hier also war es – das Korn, um das die Iskander seit Generationen betrogen wurden, weil die Ungezieferschwärme, die der magische Bann aus Baros verdrängte, in die Nachbarländer einfielen und dort die Ernten doppelt und dreifach verheerten. Der Überfluss, der diesen Speicher zum Überquellen brachte, wurde durch nagenden Hunger in Iskan, Thyrm, Nekal und Uman erkauft.
    Während die anderen in gedämpften Jubel ausbrachen, umhersprangen und die Getreidekörner durch ihre Fingern rieseln ließen, musste sich Alvin beherrschen, um nicht vor Wut laut aufzuschreien. Bittere Galle stieg seine Speiseröhre empor.

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