Bannkrieger
er euren Völkern gestohlen hat und das von Iskan bis Thyrm so dringend benötigt wird.«
Die Erwähnung der lockenden Beute brachte viele Gemüter ins Wanken. Alvin konnte es niemandem verdenken. Hinter ihnen lagen zahlreiche Strapazen, und wenn sie sich jetzt auf Zerbe stürzten, war das alles umsonst gewesen.
»Trotzdem«, beharrte Alvin, »du hättest uns sagen müssen, dass die Standbilder der Greifen bei einem Blutopfer zum Leben erwachen.«
Die übrigen Krieger nickten heftig, um ihre Zustimmung auszudrücken.
Zerbe verharrte einige Zeit völlig bewegungslos, bevor er sich Alvin zuwandte. Plötzlich war es so still im Raum, dass man das Knarren der dicken Lederkluft hören konnte. »Die Standbilder sind lebendig geworden? Ist das wirklich wahr?« Dem leiernden Tonfall des Lederhäuters war nicht zu entnehmen, ob er es ehrlich meinte oder sie gerade kübelweise mit Hohn überschüttete. »Also darum sind eure Reihen so stark dezimiert! Und ich dachte, die Stadtwache hätte euch überrascht.«
Bornus verzog seine schmalen Lippen zu einem abfälligen Grinsen.
»Ich sage die Wahrheit«, behauptete Zerbe, dem die verächtliche Reaktion nicht entgangen war. »Glaubt mir, auch meine Kräfte sind begrenzt. Nicht einmal der Götterkönig, der Schöpfer und Zehrer, ist in der Lage, alles vorherzusehen. Vor allem nicht bei so wirren Geistern wie den Greifen, die dem Untergang geweiht waren, nachdem sie sich gegen die göttlichen Mächte aufgelehnt hatten.«
Die mit diesen Worten verbundene Drohung war unüberhörbar, trotzdem blieben alle Blicke fest auf den Lederhäuter gerichtet.
»Ich weiß nur eins«, fuhr Zerbe ungerührt fort. »Dass bei einem Feldzug eigene Opfer unumgänglich sind. Das hat jeder von euch gewusst, bevor er sich freiwillig gemeldet hat.«
Zumindest das konnte niemand ableugnen. Sie hatten wirklich alle mit einem hohen Blutzoll gerechnet. Nicht gerade durch zum Leben erwachte Steinbilder, aber durch heftige Kämpfe, die früher oder später unvermeidlich waren.
»Nun, wie steht es?«, fragte er herausfordernd in die Runde. »Wollt ihr mich weiterhin feindselig anstarren, oder ziehen wir los, die königlichen Speicher zu öffnen und euren Daheimgebliebenen zu verschaffen, was sie schon so lange begehren?«
»Jetzt gleich?«, fragte Alvin überrascht. »Sofort?«
Auch die übrigen Krieger staunten über die Eile.
»Natürlich!« Zerbe stemmte die Hände tatendurstig in die ledernen Hüften. »Es sei denn, es gibt noch etwas zu besprechen. «
Es lag nichts Lauerndes in Zerbes knackendem Tonfall, trotzdem spürte Alvin, wie sich seine Härchen im Nacken aufstellten. Weder er, Bornus noch Rogge wechselten einen Blick miteinander, um sich nicht zu verraten. Es ging ihnen um Rorn. Sie wollten erst mit ihm sprechen, bevor sie über sein Schicksal bestimmten. Vorausgesetzt, der tapfere Bursche, dem sie ihr Leben verdankten, erwachte überhaupt noch einmal aus seinem todesähnlichen Schlummer.
»Also gut«, wandte sich Alvin an den Lederhäuter und entschied damit auch für alle anderen. »Vertrauen wir noch einmal auf deine besonderen Kräfte und ziehen wir los.«
Meas Schlafkammer
Nispe fühlte sich wie ein Häufchen Elend, während Großmeister Ruppel ungehalten vor dem Schemel auf- und abging. Bei jedem zweiten Schritt knirschten kleine Splitter unter seinen Sohlen. Das erboste ihn noch mehr, als er ohnehin schon war. Ein halbes Dutzend Lichtquellen erhellten das Schlafgemach, trotzdem kam sich Nispe vor wie ein kleines Kind in stockfinsterer Nacht. Ein Zittern durchlief seinen Körper, obwohl er gleichzeitig schwitzte. Die hastig übergeworfene Kleidung schlotterte an ihm herab.
»Das ist unser Ende«, murrte Ruppel düster. »Sobald das Volk von der Entführung erfährt, ist alles verloren.« Außer ihm befanden sich nur noch Yako und Nispe im Raum. Die Wachen standen draußen vor der Tür und scheuchten die vom Lärm angelockte Dienerschaft davon. »Wie ist das bloß alles möglich?« Kopfschüttelnd hielt der Großmeister in seiner ruhelosen Wanderung inne. »Wie konnte das Geschmeiß den Bannzauber des Schwingenschilds durchdringen?« Anklagend sah er den Magnus an, als müsste der die Antwort wissen.
Nispe war wie erstarrt. Er wagte nicht einmal, die Schultern zu heben.
Yako versuchte ihm zu helfen. Sie trat an den kleinen Ecktisch, auf dem eine Weinkaraffe und ein Becher standen. Rasch schenkte sie ein und eilte mit dem randvoll gefüllten Becher auf Ruppel zu, doch statt
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